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Erreichbare Ziele sind motivierende Ziele

Ziele erreichen - leichter gemacht

In meiner Lernpraxis begegnen mir immer wieder Lernende, die sich sehr ehrgeizige, letztlich aber demotivierende Ziele setzen:

  • «Ab heute gebe ich mir richtig viel Mühe.»
  • «Im nächsten Zeugnis eine Fünf in Englisch.»
  • «Keine ungenügende Note mehr!»
  • «Maximaler Prüfungserfolg bei minimalem Aufwand.»

Ehrgeizig ist nicht unbedingt clever!

Auf den ersten Blick sind diese Ziele wahrlich beeindruckend – vor allem, wenn man bedenkt, in welchen Situationen sie gewählt werden. Wer in Schwierigkeiten steckt – ungenügende Noten, provisorische Versetzung, Abschluss oder Aufnahmeprüfung gefährdet – tut doch gut daran, sich hohe Ziele zu setzen, nicht wahr? So etwas hören wir gerne!

Ich bin vorsichtig und versuche jeweils, sanft zu bremsen. Ehrenwerte Wünsche und Absichtserklärungen sind nett – aber das macht sie nicht zu guten, motivierenden Zielen!

Gute Ziele beim Lernen sind:

realistisch (in einem Fach von drei auf fünf in zwei Wochen ist nicht zu schaffen; realistisch wäre: eine halbe bis zu einer ganzen Note in einem Semster; maximaler Prüfungserfolg bei minimalem Einsatz? Selten realistisch!)
erreichbar (in allen Fächern gleichzeitig grosse Verbesserungen erzielen ist nicht zu schaffen; besser: strategisch vorgehen und dort Zeit und Energie investieren, wo die grössten Veränderungen oder die einfachsten Verbesserungen erzielt werden können)
konkret formuliert (was heisst denn «mehr Mühe geben» genau? Konkret wäre: «Ich investiere täglich eine halbe Stunde für das Fach XY» oder «Ich verbessere meine Lesetechnik» oder «Ich arbeite mit der Lernkartei».)
frei von Zielkonflikten (viele Schüler möchten fleissiger werden – fürchten sich aber ingesheim davor, zum Streber zu werden. Hier hilft es, auch die Bedürfnisse in Bezug auf Spass, Freizeit und Erholung in der Zielformulierung zu berücksichtigen, z.B. «Ich arbeite täglich eine Stunde mehr für die Schule und achte darauf, dass ich dreimal wöchentlich Sport treibe.)

Sorgfältig und klug auswählen

Meiner Erfahrung nach lohnt es sich, für die Wahl der Ziele genügend Zeit und Sorgfalt aufzubringen. Deshalb arbeite ich mit den folgenden neun Schritten, um zu lohnenden, motivierenden, realistischen Zielen zu kommen. Mit drei fiktiven (aber durchaus realistischen) Personen spiele ich mal durch, wie so ein Prozess aussehen könnte:

1. Fähigkeit beschreiben, in der ich besser werden will. 

Ronja: «Ich will besser werden in Französisch.»
Thilo: «Ich will unabhängiger werden beim Lernen – damit meine Eltern mich nicht mehr so nerven.» (Thilo würde ich darauf hinweisen, dass er nur den ersten Teil seines Ziels wirklich kontrollieren kann – sich also darauf konzentrieren sollte.)
Mike: «Ich will die Aufnahmeprüfung ins Gymi bestehen.»

2. Beschreiben, was schon gut geht und was noch nicht so gut geht.

Ronja: «Es fällt mir leicht, Vokabeln zu lernen – und in Voci-Tests habe ich meistens gute Noten. Allerdings lerne ich die Wörtli in der Regel erst am Tag vor dem Voci-Test. Das führt dann dazu, dass ich sie kurze Zeit später schon wieder vergessen habe. In grossen Prüfungen weiss ich sie dann schon nicht mehr und mache deshalb viele Fehler – unnötig, eigentlich.»

Thilo: «Die Hausaufgaben mache ich eigentlich zuverlässig. Da weiss ich ja auch, was ich zu tun habe. Was mir nicht leicht fällt, ist die Prüfungsvorbereitung – vor allem in Geschichte und Biologie, diese beiden Fächer sind so mühsam! In der Regel warte ich darauf, dass meine Eltern mich fragen, ob ich einen Test habe. Und dann sagen sie mir, dass ich endlich anfangen soll – und sie fragen ständig, ob ich schon angefangen habe – und dann habe ich sofort eine schlechte Stimmung, weil mich das so nervt, dass sie mir ständig sagen, was ich zu tun habe. Auch wenn sie natürlich recht haben. Es ist so ein irrer Teufelskreis: je mehr sie sagen, desto weniger mache ich – obwohl ich genau weiss, dass ich mehr machen müsste!»

Mike: «Im Vorbereitungskurs habe ich ein paar wichtige Dinge gelernt. Wir haben viele Matheaufgaben gelöst und da fühle ich mich recht sicher. Was noch gar nicht funktioniert, sind die Aufsätze. Ich weiss schon, dass Aufsätze am besten einen Anfang, einen Mittel- und einen Schlussteil haben – aber meine vielen Ideen in nützlicher Frist so zu ordnen, dass ich einen Text daraus machen kann, das gelingt mir einfach nicht. Ich fange an, streiche durch und schreibe dann bis zur letzten Minute. Durchlesen und meine Fehler sehen? Das fällt komplett flach.»

3. Konkrete Ziele formulieren.

Ronja: «Ich möchte im nächsten Zeugnis eine halbe Note besser sein.»

Thilo: «Ich möchte in den nächsten beiden Prüfungen frühzeitig anfangen mit dem Lernen in Geschichte und Biologie – und ohne, dass meine Eltern mich mahnen müssen.»

Mike: «Ich will herausfinden, wie ich meine Ideen schneller ordnen kann und wie ich mich beim Aufsatzschreiben so organisiere, dass ich nicht zu viel Zeit verliere am Anfang.»

4. Was bedeutet mir meine Ziele? Will ich das wirklich – für mich?

Ronja: «Französisch ist meine einzige ungenügende Note – sie stört mich einfach. Ich will keine ungenügende Note im Zeugnis. Eine genügende Note kann ja keine Hexerei sein – das müsste ich doch schaffen?»

Thilo: «Dieses ewige Genöle meiner Eltern geht mir so auf den Zeiger! Je mehr sie mahnen und nerven, desto weniger Lust habe ich, anzufangen. Natürlich weiss ich, dass das eigentlich doof ist – wenn ich nicht lerne schade ich ja mir, nicht ihnen! Ich weiss auch, dass es meine Ziele sind – nicht Ihre, aber es nervt mich, wenn sie es ständig wiederholen, ich bin doch nicht doof! Ich verstehe mich selber nicht, denn in sehr vielen Dingen bin ich sehr selbständig – und ich geniesse es, in Kontrolle zu sein. Nur in Geschichte und Bio, da klappt das gar nicht gut. Ich glaube, wenn ich diese beiden Fächer in den Griff bekomme, dann habe ich den Trick raus und kann das auch in anderen Fächern anwenden – und meine Eltern müssen nicht mehr so nerven.»

Mike: «Ich weiss, dass ich gute Ideen habe und Geschichten erfinden kann. Am Ende brechen mir die vielen Fehler meistens das Genick. Das nervt total – denn wenn ich die korrigierten Aufsätze sehe, erkenne ich meine Fehler selber! In der Prüfung habe ich halt einfach keine Zeit mehr… Ich würde gerne mein Talent wirklich ausspielen. Ich weiss, dass ich eine bessere Aufsatznote erreichen kann. Meine Chance, die Prüfung zu bestehen, würde dadurch deutlich grösser.»

5. Ist das Ziel richtig gesteckt, nicht zu hoch/zu tief?

Ronja: «Eine halbe Note Verbesserung in einem Semester ist realistisch. Dafür muss ich nicht mein ganzes Leben auf den Kopf stellen – und ich werde auch keine Streberin deswegen.»

Thilo: «Ich habe schon Respekt vor dem Ziel. Bisher habe ich einfach gewartet, bis meine Eltern den Druck gross genug gemacht haben – dann habe ich mich an die Arbeit gesetzt. Ich weiss nicht recht, ob ich überhaupt anfange, wenn gar kein Druck da ist? Ich glaube, ich brauche den Druck, um überhaupt anzufangen. Vielleicht sollte ich erst einmal mit einem Sorgenfach anfangen, nicht mit beiden gleichzeitig? Ja – ich fange mal mit Geschichte an, das nervt etwas weniger als Bio.»

Mike: «In drei Wochen sind die Prüfungen. Ich glaube, wenn mir jemand einen Trick verrät, wie ich  meine Ideen besser sortiere, dann könnte ich es schaffen. Vielleicht müsste ich mir auch überlegen, wie viel Zeit ich für die einzelnen Phasen im Aufsatz einsetzen kann, um am Ende noch Zeit zu haben, alles durchzulesen? Also – wie lange kann ich Ideen sammeln, wieviel Zeit brauche ich fürs Schreiben und wie viel fürs Kontrollieren?»

6. Wie können meine Ziele gemessen werden? Woran merke ich, dass ich sie erreicht habe?

Ronja: «Das ist einfach: die Zeugnisnote gibt darüber Auskunft.»

Thilo: «Wenn meine Eltern nicht mehr nerven. Haha – nein, im Ernst: Wenn ich an den Tagen, an denen ich Geschichte habe, gleich repetiere und mir das Wichtigste herausschreibe, dann türmt sich vor der Prüfung nicht so ein Berg auf. Wenn ich am Wochenende vor der Prüfung nicht so einen unheiligen Stress habe – dann habe ich es geschafft.»

Mike: «Mein wichtigstes Ziel ist, die Zeit gut einzuhalten. Auf jeden Fall muss ich am Ende alles durchlesen. Wenn mir das in einem Aufsatz gelingt, weiss ich, dass ich auf gutem Weg bin.»

7. Was brauche ich, um den Weg gehen zu können? Was hat mir bisher dazu gefehlt?

Ronja: «Ich müsste die Vokabeln in kleinen Portionen lernen – über die ganze Woche verteilt. Dafür müsste ich mich jeden Tag eine Viertelstunde hinsetzen – eine Viertelstunde ist eigentlich nicht so viel. Ausserdem muss ich die Verben konjugieren können – darin bin ich wirklich nicht gut. Bei jedem Verb muss ich mir lange überlegen, was „ich gehe“ oder „du gehst“ oder „wir gehen“ jetzt schon wieder heisst. Dabei verliere ich sehr viel Zeit. Ich müsste jeden Tag zehn Minuten lang konjugieren. Das wären dann insgesamt 25 Minuten für Französisch – täglich. So viel habe ich für dieses Fach noch nie gemacht – das allein müsste sich ja in einer besseren Note niederschlagen, nicht wahr?»

Thilo: «Es würde sicher helfen, wenn ich mit einem Lernplan für Geschichte arbeiten würde. Meistens habe ich keinen Plan, was ich überhaupt lernen muss – bis zwei Tage vor der Prüfung! Der Lehrer gibt die Lernziele schon recht früh – ich könnte locker zwei Wochen vor der Prüfung anfangen. Eigentlich arbeite ich gerne mit einem Plan – es macht mir Spass, alles, was ich gemacht habe, durchzustreichen. Das gibt mir ein gutes Gefühl – yeah, schon so viel gemacht! Wenn ich sehe, dass ich Fortschritte mache, motiviert mich das zum Weiterlernen.»

Mike: «Ich brauche einen Zeitplan. Und ein Werkzeug, wie ich meine vielen guten Ideen am Anfang gut ordne und strukturiere.»

8. Dies sind meine Schritte zum Ziel – und in dieser Zeit will ich sie gehen.

Ronja: «Ich nehme mir vor, an jedem Wochentag zwei Portionen Französisch zu machen – einnmal Voki und einmal Verben konjugieren. Wenn ich an einem Wochentag einmal keine Zeit dafür habe, hole ich es am Wochenende nach. Ich will zuerst einmal bis zu den nächsten Ferien durchhalten – das sind noch fünf Wochen, das sollte zu schaffen sein.»

Thilo: «Das sind meine Schritte: Die Hausaufgaben in Geschichte mache ich immer sofort, am gleichen Tag, weil ich dann noch weiss, was der Lehrer erzählt hat und was ihm wichtig war – und ich schreibe mir nach jeder Stunde das Wichtigste auf spezielle Karten, meine ‚Repetierkarten‘. Diese lege ich mir auf den Nachttisch und sehe sie vor dem Einschlafen noch einmal durch. Ich halte das die nächsten acht Wochen durch und schaue dann, ob sich die Situation verbessert. Wenn meine Eltern weniger schreien, und wenn die Prüfungsergebnisse in Geschichte besser sind, verbuche ich das als Erfolg.»

Mike: «Der Kollege meines Vaters ist Journalist. Ich frag den mal, ob er mir einen guten Trick weiss. Oder meine Deutschlehrerin. Und dann muss ich wohl ein paar Aufsätze durchspielen bis zu den Prüfungen. Ich glaube, zwei bis drei würden genügen, damit ich mich sicher fühle. Wenn nicht, mache ich noch einen.»

9. So kontrolliere ich meinen Fortschritt.

Ronja: «Ich mache eine Liste, auf der ich alle Tage der nächsten vier Wochen als Kästchen einzeichne. Jedes Mal, wenn ich eine Portion Französisch lerne, gibt’s einen farbigen Punkt – Voci gelb und Verben pink. Pro Tag brauche ich also zwei Punkte – pro Woche insgesamt 10.»

Thilo: «Die Repetierkarten auf meinem Nachttisch sind meine Messlatte: Pro Woche müssen da mindestens vier oder fünf neue dazu kommen. Ausserdem schreibe ich die Lernziele in Geschichte auf ein grosses Blatt Papier und teile sie auf die verbleibenden Wochen auf. Pro Woche muss ich dann so und so viele Ziele abhaken – dann weiss ich auch gleich, wie viele Punkte ich mir verdient habe. Das Blatt hänge ich über meinen Arbeitstisch – dann sehe ich meinen Fortschritt auf einen Blick.»

Mike: «Ich weiss jetzt, was ich zu tun habe: 1. Expertentipp abholen. 2. Zeitplan erstellen für Aufsatz. 3. Aufsatz üben. Diese Aufgaben verteile ich auf die Wochen bis zur Prüfung. Ich glaube, ich schaue, dass ich noch zwei, drei Reservetage habe, damit nicht alles aus dem Ruder läuft, wenn ich mal einen schlechten Tag habe. Das übertrage ich so in meine Agenda – und streiche durch, was gemacht ist.»