Blog

Handschrift verbessern, leserlich schreiben

Handschrift verbessern

In den letzten Monaten durfte ich fünf junge Menschen begleiten, die ihre Handschrift verbessern wollten. Ihre Gründe dafür waren vielfältig:

  • «Meine Lehrerin behauptet, an der Aufnahmeprüfung ins Gymi könne niemand meine Schrift lesen – und ich werde deshalb durchfallen, obwohl ich den Stoff eigentlich kann.»
  • «Normalerweise schreibe ich ganz ok. Aber in Prüfungen – besonders unter Zeitdruck – tanzen meine Buchstaben irgendwie herum und sind dann noch weniger auf der Linie als sonst.»
  • «Wenn ich länger als zehn Minuten schreiben muss, bekomme ich Krämpfe in der Hand.»
  • «Ich schreibe so ungern, dass ich im Unterricht keine Notizen mache. Jetzt, auf der Oberstufe, entgeht mir einiges…»
  • «Ich schreibe so langsam, dass ich in Prüfungen gar nie alle Fragen beantworten kann.»
  • «Alle anderen schreiben schön. Nur ich nicht. Ich möchte gerne schöner schreiben.»

Handschrift – überflüssig oder unentbehrlich?

Wie so vieles ist die Sache mit der Handschrift irgendwie paradox: Einerseits sind Kurse im «Handlettering» gerade sehr angesagt – andererseits erscheint im Computerzeitalter das Schreiben von Hand als ein Überbleibsel aus der Vergangenheit, das getrost ersatzlos gestrichen werden darf.

Der Radiobeitrag Handschrift in digitalen Zeiten stellte im Januar 2022 die Frage: «Überflüssig oder Kulturgut?» und liess verschiedene Expertinnen in Sachen Schrift zu Wort kommen. Hier zwei Aussagen aus dem sehr hörenswerten Beitrag:

  • «Es geht beim Schreiben lernen nicht um ‚schön‘ oder ‚Sauklaue‘, sondern um den Erwerb einer Denktechnik, auf die wir angewiesen sind.» Denken und Schreiben gehörten untrennbar zusammen, so die Handschrift-Expertin Susanne Dorendorff, sich aktiv für die Wiedereinführung der Schreibschrift (vom ersten Schultag an) und des Schreibunterrichts engagiert. 2005 hat sie eine Schleiblehr-Methode extra für Jungen entwickelt, die sie Fachpersonen vermittelt. Dorendorff begleitet auch Erwachsene auf dem Weg zu einer persönlichen Schrift.
  • Die Lehrerin Maria-Anna Schulze Brüning beobachtet seit Langem, dass sich das Schreibvermögen ihrer Schüler zunehmend verschlechtert. «Immer mehr Kinder können nicht leserlich und oft nur mit großer Anstrengung schreiben. Krakelschriften sind keine Einzelfälle mehr, sondern in den Klassenzimmern längst zum Normalfall geworden.»

Eine Umfrage des deutschen Schreibmotorik-Instituts unter 2000 Lehrpersonen ergab 2015, dass 98 % die Entwicklung der Handschrift nach wie vor als «(sehr) wichtig» einstuften.

Handschrift – technisch überholt?

Manche Experten gehen davon aus, dass eine handschriftliche Notiz sich besser im Gedächtnis verankert als eine am Computer geschriebene. So erklärt etwa der Neurowissenschafter Henning Beck in einem Interview, warum das Mitschreiben von Hand für das Gedächtnis offenbar besser sei als das Tippen am Computer:

«Das Schreiben von Texten mit der Tastatur ist verlockend. Wir haben in wesentlich kürzerer Zeit eine viel größere Menge an Informationen im System, die wir unkompliziert korrigieren, umstellen, streichen und jederzeit aufrufen können. Aber genau das ist der Haken. Denn wir neigen beim Tippen dazu, das Gehörte einfach 1:1 aufzuschreiben, ein rein auditiv motorischer Prozess. Beim Schreiben mit der Hand selektieren wir dagegen direkt und überlegen uns, was wir aufschreiben und was nicht. Dafür müssen wir uns auf das Wesentliche konzentrieren und das können wir nur, wenn wir den Inhalt nicht nur hören, sondern auch verstehen. Die Handschrift schließt einen Denkprozess ein, der etwa beim Tippen an der Tastatur wegfällt.»

Freie Wahl des Werkzeugs?

Interessant ist der «Faktencheck» der Mercator-Stiftung. Er räumt nicht nur den Mythos aus der Welt, in Finnland werde das Schreiben von Hand nicht mehr gelehrt (lediglich auf die verbundene Schreibschrift wird verzichtet), sondern listet auch verschiedene wissenschaftliche Studien auf, die zur Handschrift relevante Aussagen machten. Darunter unter anderen diese hier:

  • im Klassenzimmer wird auch heute vorwiegend von Hand geschrieben (selbst wenn Tabletts o.ä. zum Einsatz kommen)
  • vor allem schreibschwache Schüler/innen profitieren davon, am Computer schreiben zu können
  • Handschreiben hat einen positiven Einfluss auf die kognitive Entwicklung, die zum Verfassen von Texten oder Notizen benötigt wird
  • die Frage, ob zuerst das Schreiben von Hand oder das Tastaturschreiben erlernt werden soll, kann zum gegenwärtigen Stand der Wissenschaft nicht eindeutig beantwortet werden. Klar ist aber: «Wer in der Lage ist, flüssig mit der Hand zu schreiben, kann dies auch meist gut mit der Tastatur – wenn beide Techniken erlernt wurden.»

Letztlich sind beide Arten des Schreibens – von Hand und mit einer Tastatur – Techniken, die gelernt und geübt werden müssen. Auch wenn es sinnvoll erscheinen mag, ganz auf das Handschreiben zu verzichten, muss das Tastaturschreiben richtig – mit allen 10 Fingern! – gelernt werden, damit dieses Werkzeug sein Potenzial entfalten kann. Mit Sicherheit ist es nicht leichter, das gut eingeübte Adler-System (zwei kreisende Zeigefinger stechen einzeln herunter auf die Buchstaben) wieder umzulernen, als die eigene Handschrift zu entwickeln.

Aus meiner Sicht spricht also viel dafür, wenn schon, dann beide Techniken richtig zu lernen. Insbesondere, wenn Schüler/innen an Aufnahme- und Abschlussprüfungen gar keine freie Wahl gelassen wird und sie gezwungen sind, ihre Antworten oder Aufsätze stundenlang von Hand zu schreiben.

Handschrift verbessern braucht Zeit und Motivation

Am Anfang des Lernens steht immer die Motivation. «Warum willst du deine Schrift verbessern?» Miteinander Gründe suchen, die dafür sprechen könnten, Extraanstrengung in die eigene Handschrift zu stecken. Dies könnten sein:

  • Stell dir vor, du musst eine wichtige Telefonnummer aufschreiben, kannst danach aber deine «1» nicht von der «7» unterscheiden.
  • Was könnte passieren, wenn jemand Medikamentennamen oder Passwörter unleserlich schriebe?
  • Wenn Du Dich nicht an Linien und Seitenränder hältst – was denken Deine Lehrpersonen von Dir?
  • Wie würdest Du einen Liebesbrief oder eine Trauerkarte schreiben – und warum?
  • An der Aufnahme- (oder Abschluss)prüfung musst du einen einstündigen Aufsatz schreiben. Packst du das?

Viele nützliche Hinweise, Analyse- und Übungsmaterialien und auch Tipps für Eltern bietet Marie-Anna Schulze-Brüning auf ihrer Webseite Handschrift-schreibschrift.de. Sie zeigt eindrücklich auf, wie und warum eine Schrift «entgleisen» kann und welche Übungen helfen, um wieder mehr Kontrolle über die eigene Hand zu bekommen.

Gut gemachtes, unterhaltsames und nützliches Übungsbuch:

Ein gutes Lernmittel für Kinder der 4. bis 6. Klasse (eventuell auch für die ersten Klassen der Oberstufe) ist «Meine Handschrift – der Weg zur persönlichen Handschrift» von Bruno Mock, erschienen im Westermann Schulverlag Schweiz. Mock adressiert dabei auch ein (meines Erachtens) grosses Problem der «Deutschschweizer Basisschrift», die keine Verbindungen der einzelnen Buchstaben mehr vorgibt. Manche Kinder verzichten ganz darauf, ihre Buchstaben zu verbinden. Wer aber für jeden Buchstaben einzeln ansetzen muss, verliert dabei mehr Zeit, als wenn zwei, drei Buchstaben in einem «Zug» geschrieben werden können. Das Buch ist gut aufgebaut und holt junge Leser/innen gut ab. Es bietet Anregung, die eigene Handschrift zu beobachten und zu bewerten – aber auch persönliche Gestaltung zuzulassen. Mit ein bisschen Anleitung zu Beginn kann das Büchlein selbständig durchgearbeitet werden. Entsprechende Motivation vorausgesetzt!

Handschrift verbessern: 5 Tipps

  1. Ein realistisches, erreichbares Ziel formulieren, zum Beispiel: «Meine Handschrift soll in drei Monaten leserlicher sein und dafür will ich täglich eine Viertelstunde Zeit investieren.» Den eigenen Fortschritt dokumentieren (ev. gut sichtbar aufgehängt). (Wie gute Ziele formuliert und verfolgt werden, habe ich hier beschrieben.)
  2. Analyse der Handschrift vornehmen. Einen von Hand geschriebenen Text daraufhin prüfen: Sind Gross- und Kleinbuchstaben klar unterscheidbar? Gibt es Buchstaben, die ich ungewöhnlich schreibe und die deshalb nicht lesbar sind?
  3. Schönes, passendes Schreibgerät auswählen. Ein Kugelschreiber oder Füller, der gut in der Hand liegt. Papier, auf dem es sich leicht und flüssig schreiben lässt. Vielleicht ein neues Journal, das zum Schreiben anregt?
  4. Passende Schreibübungen auswählen und durchführen. Eventuell Inspiration suchen bei anderen, die schön(er) schreiben. Oder bei den Hausaufgaben stärker auf das Schriftbild achten und hin und wieder etwas «in Reinschrift» neu schreiben. Eventuell lohnt es sich, für eine Weile auf Papier mit Lineatur zu schreiben. Es hilft, Unter- und Oberlängen der Buchstaben klarer zu gestalten. (Es gibt verschiedene Lineaturen mit kleineren und grösseren Abständen. In einer Papeterie nachfragen und ausprobieren, welche Lineatur der eigenen Schriftgrösse angepasst ist.)
  5. Bewusst mehr von Hand schreiben, um die Hand an die Aufgabe zu gewöhnen und das eigene Schriftbild zu üben. (Doodeln und Scribbeln, Briefe, Einkaufslisten, Postkarten, Spickzettel, To-Do-Listen, Tagebuch…)