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Ständiges Antreiben ist kontraproduktiv.

Ständiges Antreiben zermürbt alle Beteiligten

Antreiben kennen wir alle: «Hast Du Deine Aufgaben gemacht?» «Ist Dein Schulzeug gepackt?» «Hast Du Deine Wörtli gelernt?» «Wie oft muss ich Dir noch….?» «Fängst Du jetzt bitte an?» «Fängst Du jetzt bitte, bitte endlich an?»

Als Eltern sind wir es gewöhnt, unseren Kindern Anweisungen zu geben. Das liegt in der Natur der Elternrolle: von klein an leiten wir das Kind an, bringen ihm Fähigkeiten bei, unterstützen es dabei, Neues zu lernen. Dazu gehören auch Anweisungen wie: «Zieh bitte die Schuhe an – wir gehen in zehn Minuten!»

Gute Anweisungen – schlechte Anweisungen

Idealerweise sind die Anleitungen vorausschauend und realistisch. Sie lassen dem Kind genügend Zeit, darauf zu reagieren. Und: Wir erwarten nichts Unrealistisches.

Es ist absolut verständlich, dass Eltern sich nach und nach daran gewöhnen, Anleitungen zu geben, was das Hausaufgaben-Machen oder die Prüfungsvorbereitung, ja, die ganze Organisation rund um Schule und Lernen betrifft. So leicht rutschen wir auch hier in die Familien-Manager-Rolle: «Hast du ans Turnzeug gedacht?» «Wann ist die Prüfung für M&U?» «Kannst du die Franz-Wörtli?» In der Regel steckt ein wohlmeinendes, ernsthaftes Interesse dahinter – schliesslich möchten wir, dass es dem Kind gut geht, dass es Erfolg hat, dass es mit Freude lernen kann.

Antreiben im Zusammenhang mit dem schulischen Lernen ist aber heikel. Insbesondere dann, wenn es sich häuft.

Warum ist Antreiben gefährlich?

  • Wer dauernd getrieben wird, kann sich gar nicht von selbst auf etwas einlassen. Die Karotte hängt ja permanent vor der Nase, sie ist als Ziel vorgegeben. Eigene Ziele? Schulterzucken.
  • Antreiben führt zur Gewöhnung: Man wird geschoben. Jemand sitzt im Bus «Schule und Lernen» am Steuer, gibt Gas, schaltet und trägt die Verantwortung. Während man irgendwo hinten sitzt, im Passagiersitz, passiv, fast unbeteiligt. Spätestens, wenn der Bus in unruhige Gegend kommt – sprich: schlechte Noten drohen – kann man sich elegant aus der Affaire ziehen: «Lernen? Das ist dein Ding, nicht meines.»
  • Wer ständig angetrieben wird, traut sich mit der Zeit gar nicht mehr zu, etwas aus eigener Kraft zu schaffen. Die Eltern, die Helfer, die Unterstützer  sie alle sind ja permanent da und schieben. Was, wenn die mal nicht mehr da sind? Die Erfahrung, fest im Fahrersitz auch über holprige Strecken sicher zu fahren, fehlt.

Stimmt, es gibt Kinder, die immer mit allem bis zum letzten Moment warten. Manche Kinder sind schusselig oder auch mal faul. Die gehen mit unerledigten Hausaufgaben in die Schule – oder nur mit der Hälfte des Materials. Für sie ist es meistens eine heilsame Erfahrung, wenn die Lehrpersonen sie auf ihr ungenügendes Verhalten aufmerksam machen.

Es gibt auch Kinder, die nichts von sich aus tun, was mit dem Lernen zu tun hat. In anderen Dingen – vor allem, wenn sie interessiert sind – sind sie aber überaus konzentriert, können organisieren, sich ins Thema hineinknien und sich gründlich einarbeiten… Fehlt es also wirklich an der Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen? Oder liegt es daran, dass sie sich für gewisse Dinge – wie zum Beispiel das schulische Lernen – nicht zuständig fühlen?

Dann könnte der Ursprung des Problems darin liegen, dass in diesem Bereich eine längere Phase des Antreibens vorangegangen ist. Auch wenn sich ungünstige Gewohnheiten eingeschlichen oder sogar verfestigt haben, können sie geändert werden. Wichtig ist dabei, mit viel Geduld vorzugehen. In Amerika spricht man in diesem Zusammenhang gerne von «babysteps» – Babyschrittchen. Und auch wenn der Begriff ein wenig lächerlich scheint, versteckt sich darin ein ganz tolles Instrument, mit dem Veränderungen möglich werden können.

Selbständigkeit in kleinen Schritten stärken. So:

1. Verantwortlichkeiten klären. Das Ziel beim Lernen und bei den Hausaufgaben sollte sein: Die Verantwortung dafür liegt beim Kind. (Es lohnt sich, für die Klärung einen ruhigen Moment zu wählen und sachlich zu sprechen. Vielleicht braucht es auch eine neutrale Drittperson dafür, die moderiert und dafür sorgt, dass alle Beteiligten reden dürfen und dass allen zugehört wird.)

2. Erwartungen klären. Ich bin der Meinung, dass Eltern angemessene Erwartungen an die Leistungen eines Kindes haben und aussprechen dürfen: «Wir möchten, dass du die Schule ernst nimmst und dein Bestes gibst. Das heisst auch, dass du die Hausaufgaben sorgfältig erledigst.» Gleichzeitig muss auch das Kind seine Erwartungen anmelden dürfen: «Es hilft mir, wenn ihr mich vor dem Abendessen an die Hausaufgaben erinnert.» Oder: «Es würde mir die Sache leichter machen, wenn im Flur neben der Tür ein Haken wäre, an dem ich mein Turnzeug am Abend aufhängen kann.»

3. Regeln vereinbaren. Wenn Verantwortung und Erwartungen geklärt sind, können gemeinsam Regeln vereinbart werden. Zum Beispiel: «Wir erinnern Dich nach dem Zmittag an die Hausaufgaben. Diese müssen bis zum Abendessen erledigt sein.» Oder, bei grösseren Kindern: «Du erledigst deine Hausaufgaben ganz selbständig. Wenn Du Hilfe brauchst, kommst Du vor 20 Uhr zu uns.» Es ist auch sinnvoll, gemeinsam zu überlegen, wie bei Regelverstössen vorgegangen wird. Und es versteht sich von selbst, dass auch Eltern sich an die Regeln halten. Wer verspricht, nur noch einmal täglich an die Hausaufgaben zu erinnern, sollte dem Kind nicht alle 20 Minuten damit in den Ohren liegen. (Hat Ihr Kind Schwierigkeiten damit, anzufangen? Darüber habe ich hier geschrieben: «Schneller loslegen.»)

Wer die Grundlagen für die Selbstverantwortung so besonnen legt, darf auf Erfolg hoffen. Allerdings stellt sich dieser selten über Nacht ein. Es lohnt sich deshalb, während mehrerer Wochen dranzubleiben – und sich in dieser Zeit an jedem kleinen Fortschritt zu freuen!

Antreiben oder helfen? Die Unterscheidung ist nicht immer einfach. Elternbildung Schweiz hat (in Zusammenarbeit mit www.mit-kindern-lernen.ch) ein tolles, sehr hilfreiches Plakat erstellt, das sich viele Eltern gerne an den Kühlschrank hängen – als Ermunterung oder Erinnerung: «Hausaufgaben: Begleiten statt einmischen!»

5 Kommentare

  1. Scherler sagt

    Wenn das Kind erst spät abends beginnt. Welche Konsequenzen soll man als Eltern ziehen? Die schlechten Noten folgen ja nicht sofort….

    • admin sagt

      Da würde ich mir folgende Fragen stellen:
      – Was heisst „spät abends“? So spät, dass das Kind immer müde ist oder sogar zu wenig Schlaf bekommt?
      – Wie selbständig arbeitet das Kind? Erledigt es die Dinge gut und ohne Hilfe? Oder kommt es immer wieder mit Fragen und Bitten um Unterstützung? Dann würde ich als Eltern klar machen, dass wir auch einen Feierabend verdient haben und keine 24-Stunden-Nachhilfe anbieten.

      Wenn das Kind mit dieser Strategie gut arbeitet, gute Resultate erzielt, genügend Schlaf bekommt und nicht die ganze Familie auf Trab hält, gibt es wohl nicht viel dagegen zu sagen. Ich würde aber Schlaf und Sorgfalt im Auge behalten!

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