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Ein dynamisches Selbstbild hilft beim Lernen

Dynamisches Selbstbild

Mein Selbstbild bestimmt, wie ich an Herausforderungen herangehe. Also die Art und Weise, wie ich über mich selbst in herausfordernden Situationen denke.

Dies zeigt besonders eindrücklich die amerikanische Psychologin Carol Dweck. Sie hat in ihrer Forschungsarbeit zwei markante mentale Haltungen benannt: das «statische Selbstbild» und das «dynamische Selbstbild». (Letzteres ist in englischsprachigen Ländern auch unter dem Begriff «Growth Mindset» bekannt.)

Diese beiden Haltungen unterscheiden sich fundamental, was die ihnen zugrundeliegende Überzeugung betrifft:

Das statische Selbstbild glaubt: «So bin ich eben – und kann’s nicht ändern.»

Menschen mit einem statischen Selbstbild gehen davon aus, dass ihre Lernfähigkeit angeboren und im Laufe des Lebens unveränderlich und unbeeinflussbar ist. Aussagen wie: «Ich habe halt kein Talent dafür» oder «ich bin halt so, daran kann ich nichts machen» sind deutliche Signale für ein statisches Selbstbild.

Menschen, die von einem statischen Selbstbild ausgehen…
  • fürchten sich eher davor, Fehler zu machen
  • geben schneller auf, wenn sie etwas für (zu) schwierig halten
  • tendieren dazu, das Feedback anderer zu ignorieren
  • gehen Herausforderungen lieber ganz aus dem Weg
  • fühlen sich vom Erfolg von anderen eher persönlich angegriffen.

Das dynamische Selbstbild glaubt: «Ich kann das lernen – wenn ich mich anstrenge und hartnäckig übe.»

Personen mit «Growth Mind» gehen davon aus, dass sie ihre Lernfähigkeit durch Einsatz und Ausdauer (weiter)entwickeln können.

Meines Erachtens ist dies übrigens auch eine der grössten Erkenntnisse der Neurowissenschaften: Sie haben gezeigt, dass das gesunde menschliche Gehirn (fast) bis zum letzten Atemzug veränderbar ist. Für einmal hat der Volksmund unrecht: Was Hänschen nicht gelernt hat, kann Hans immer noch lernen! Selbst im hohen Alter dürfen wir uns noch eine neue Sprache oder ein neues Musikinstrument zutrauen. Zwar brauchen wir mehr Zeit, um es zu meistern, als junge Menschen, doch grundsätzlich sind wir in jedem Alter dafür ausgestattet. Dank unserem Gehirn, das enorm veränderbar ist!

Menschen, die davon ausgehen, dass sie grundsätzlich veränderbar sind,
  • lernen aus ihren Fehlern, statt sich davon entmutigen zu lassen
  • holen bei anderen Feedback ab und lernen daraus
  • strengen sich eher an, um Ziele zu erreichen
  • suchen Herausforderungen und gehen auch mal Risiken ein
  • lernen mehr und besser.

Carol Dweck zeigte, dass kein Mensch ein ausschliesslich «statisches» oder «dynamisches» Selbstbild hat – wir können uns durchaus für sportlich lernfähig halten, während wir fest davon überzeugt sind, keine Begabung für Kommunikation zu haben. Oder umgekehrt. In einem kürzlich veröffentlichten Interview im Bank-Magazin «Bulletin» erklärte Dweck, wie wir lernen können, unsere Trigger zu erkennen und auch in «statischen» Bereichen des Selbstbilds wieder zu einer dynamischeren Haltung zu finden: «Indem man dagegenhält. Es mag banal klingen, aber Sie können beispielsweise der Person mit der statischen Haltung in Ihrem Kopf einen Namen geben und mit ihr reden. Etwa so: ‚Danke, ich verstehe. Es ist wirklich verstörend, kritisiert zu werden oder eine Sache zu verbocken, aber ich will vorankommen und diese Herausforderung annehmen.»

So können Sie Ihr «Growth Mindset» fördern:

  • Vermeiden Sie Aussagen wie «ich konnte noch nie gut Singen», «ich habe halt kein Talent für Mathe» oder «Reden liegt mir nicht». Solche Festschreibungen sind eigentlich Entschuldigungen dafür, dass Sie sich in diesen Bereichen nicht (mehr) anstrengen wollen. Nun ist es durchaus legitim, nicht in allen Bereichen zu glänzen. Falls Sie insgeheim aber doch Singen, Reden oder Rechnen können möchten, stehen Sie sich mit diesen Überzeugungen im Weg. Singen, Reden, Rechnen und viele ähnliche Fertigkeiten sind grundsätzlich lernbar – durch hartnäckiges Üben!
  • Sehen Sie Veränderungen als einen Weg, der sich in kleine Schritte aufteilen lässt. Beginnen Sie mit einem kleinen Schritt, der keine (oder nur sehr wenig) Angst in Ihnen auslöst. Freuen Sie sich, wenn der Schritt gelungen ist, und loben Sie sich intensiv dafür. Dies verknüpft einerseits positive Gefühle mit dem Neu-Gelernten und fördert andererseits Ihre Motivation, sich an den nächsten Schritt zu wagen.
  • Seien Sie geduldig mit sich selbst und sehen Sie Fehler als Informationen oder als Wegweiser auf dem Weg – nicht als Niederlagen.
  • Suchen Sie sich passende Übungsfelder, in denen Sie neue Erfahrungen mit sich machen können. Es ist anstrengend und manchmal sogar kontraproduktiv, wenn Sie sich kopfüber in eine besonders grosse Herausforderung stürzen. Unrealistische Ziele sind demotivierend. Worauf haben Sie Lust? Was liegt gerade noch in Reichweite? Vielleicht können Sie einen lieben Menschen dazu bewegen, mit Ihnen etwas Neues zu lernen? Vieles geht einfacher im Team.

So können Sie als Eltern das dynamische Selbstbild Ihrer Kinder unterstützen:

  • Vermeiden Sie Aussagen wie «ich konnte auch nie Zeichnen» oder «du hast halt kein Talent für Mathe». Für Ihre Kinder sind solche Aussagen die Erlaubnis, sich nicht (mehr) anzustrengen.
  • Wecken Sie gegenüber Fehlern eine Forscher-Neugier: Warum ist das passiert? Was hat dazu geführt? Welche Strategie würde zu einem anderen Ergebnis führen? Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es? Wie können wir verhindern, dass XY wieder passiert? (Das gilt übrigens durchaus auch für falsches Verhalten. Die Frage: «Warum ist es passiert und wie verhindern wir es?» ist so viel konstruktiver und wirkungsvoller als «Wer hat das getan und wie bestrafen wir das?»)
  • Geben Sie detaillierte Rückmeldungen, die sich auf Anstrengung und Einsatz konzentrieren. «Ich finde es toll, dass Du diese schwierige Aufgabe noch einmal angepackt hast.» – «Ich habe gesehen, dass Du verschiedene Lösungswege ausprobiert hast – toll!» – «Mir ist aufgefallen, dass Du weitergemacht hast, obwohl es Dir schwerfiel.»
  • Beschönigen Sie Misserfolge nicht. «Toll, dass Du es wenigstens probiert hast» oder «Du kannst halt nicht in allem gut sein» können kontraproduktiv wirken. Bei einem Scheitern ist es viel nützlicher, gemeinsam zu überlegen, wie ein Fortschritt zustande kommen könnte, welche Optionen für eine Verbesserung zur Verfügung stehen oder welche Ansätze besser taugen, die Anstrengung auch wirklich zu einem guten Erfolg bringen zu können.
  • Ersetzen Sie «nicht» durch «noch nicht». Zum Beispiel: Wenn Ihr Kind sagt «ich kann das nicht» oder «ich verstehe das einfach nicht!», ergänzen Sie freundlich und bestimmt «noch nicht!» Dann können Sie gemeinsam überlegen und planen, welche Schritte nötig sind, um tatsächlich Fortschritte zu machen.
  • Laden Sie Ihr Kind ein, über Entwicklung und Anstrengung nachzudenken. Stellen Sie Fragen wie: «Was hast Du heute getan, was Dich weitergebracht hat?» «Was hat dazu geführt, dass Du nicht aufgegeben hast?» «Wofür hast Du Dich heute angestrengt?» «Was kannst Du tun, um diese Fähigkeit zu trainieren?» «Was hilft Dir, dranzubleiben?»
  • Seien Sie ein gutes Vorbild: Lassen Sie Ihr Kind miterleben, wie Sie selber etwas üben. Sind Sie geduldig mit sich? Können Sie darüber sprechen, wie schwierig etwas für Sie ist? Wie halten Sie Frustrationen bei (allzu) kleinen Fortschritten aus? Wie schaffen Sie es, regelmässig zu üben? Was tun Sie, um motiviert zu bleiben? Für Ihre Kinder kann es sehr wertvoll und inspirierend sein, Sie üben zu sehen.

Welche Erfahrungen machen Sie mit dem «dynamischen Selbstbild»? Ich bin gespannt darauf, Ihre Kommentare zu lesen.

Mehr zu diesem spannenden Thema finden Sie im Buch «Selbstbild» von Carole Dweck.