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Frustrationstoleranz beim Lernen erhöhen

Frustrationstoleranz erhöhen - lieben was man tut

Frustrationstoleranz – was ist das und wie können wir sie stärken?

«Du hast aber eine niedrige Frustrationstoleranz!!!» Ist das ein neumodisches Schimpfwort? Ich höre es in letzter Zeit sehr oft. Was ist da dran? Und vor allem: Wie zeigt sich die niedrige Frustrationstoleranz im Zusammenhang mit Lernen? Hier ein paar Beispiele aus meiner Lernpraxis:

  • Eine Achtjährige weint, wenn sie im Rechnen einen Fehler macht.
  • Ein Elfjähriger explodiert jedes Mal, wenn er etwas schwierig findet – so, dass ein Weitermachen ganz unmöglich ist.
  • Ein Fünfzehnjähriger macht in Französisch nie Hausaufgaben, weil «das nervt».
  • Eine Dreiundzwanzigjährige nimmt sich vor, zu lernen, bricht aber ab, wenn sie etwas nicht versteht und schaut stattdessen «zum Trost» ihre Lieblingsserie.
  • Eine Achtundvierzigjährige wird wütend, wenn sie Testaufgaben lösen soll und fragt sich: «Was für einen Quatsch wollen die eigentlich von mir wissen?»

Allen gemeinsam ist: Sie verschieben oder vermeiden Tätigkeit A, die sie eigentlich tun müssten (nämlich lernen). Stattdessen tun sie Tätigkeit B (weinen, explodieren, vermeiden etc.). Und warum? Weil ihnen Tätigkeit A Frustration beschert, die sie nicht aushalten. Oder, präziser, von der sie glauben, dass sie sie nicht aushalten können. (Denn wir alle halten eigentlich erstaunlich viel aus, oder?)

(Etwas) Frust aushalten können…

Während es für Kleinkinder normal ist, sich auf den Boden fallen zu lassen, zu weinen oder zu toben, wenn etwas nicht in ihrem Sinne läuft, sollten grössere Kinder und Jugendliche nicht gleich alles hinschmeissen. Sie lernen im Laufe der Jahre unterschiedliche Strategien und Verhaltensweisen kennen, die ihnen helfen, über ihre Frustration hinwegzukommen. Vielen gelingt dies mehr oder weniger gut, andere sind grundsätzlich «dünnhäutig» oder «schnell an der Grenze». Manchen gelingt es in gewissen Bereichen, beispielsweise im Sport oder im sozialen Austausch, dafür rasten sie in anderen Bereichen regelmässig aus, etwa beim Lernen/Studieren/Üben. Anders gesagt: Eine geringe Frustrationstoleranz kann durchaus situationsspezifisch sein. Doof natürlich, wenn sie gerade das Lernen betrifft.

Wie stehen Sie zu den folgenden beiden Aussagen?

  • Ich kann auch an zeitweilig langweiligen Inhalten dranbleiben. (Mögliche Antworten: Ja / Etwas / Nein)
  • Ich lasse mich durch aufkommenden Ärger nicht vom Lernen abhalten und bin in der Lage, den Ärger zu überwinden. (Ja / Etwas / Nein)

Von 22 Klient/innen, denen ich diese Aufgabe stellte, sagten nur vier uneingeschränkt «Ja – ich bleibe dran!» Sechs schätzten sich so ein: «Nö – ich gebe sofort auf». Etwas mehr als die Hälfte (12) erkannte, dass es ihnen manchmal gelingt, manchmal nicht.

Bestimmt sind wir uns einig: Wer etwas Neues lernt, muss es aushalten, auch mal Fehler zu machen. Oder sich reinknien. Etwas nochmal anschauen, auch wenn es langweilig erscheint. Und uns hin und wieder sagen: «Es hilft nichts, da müssen wir durch.»

…und Toleranz schrittweise aufbauen

Ich finde es wichtig, eine gesunde Frustrationstoleranz nicht zu verwechseln mit «ducken und schlucken» oder unendliche Belastungen klaglos aushalten zu können. Darum geht es nicht. Überlastung und Überforderung dürfen wir nicht schönreden. Aber eine gesunde Toleranz frustrierenden oder auch nur anstrengenden Erlebnissen gegenüber ist beim Lernen eine wichtige, wenn nicht sogar die erfolgsversprechende Charaktereigenschaft. Und das Gute daran ist: Sie kann aufgebaut werden. Nämlich so:

In vier Schritten zu höherer Frustrationstoleranz: 

Schritt 1: «Diese Situation/Aufgabe ist wirklich hart für mich. (Aber ich bin es auch.)»

Es ist sehr wichtig beim Lernen, sich einzugestehen, wo man steht. Wer die Schwierigkeiten weg redet, ignoriert oder überspielt, droht bei der nächsten Gelegenheit wieder darüber zu stolpern. Ich vergleiche das gerne mit einer Wanderung im hochalpinen Raum: nur Verrückte gehen dorthin in Pumps oder Flipflops. Es ist vollkommen klar, dass wir uns im schwierigen Gelände gut ausrüsten müssen. Ähnlich ist es mit den Schwierigkeiten: Ich anerkenne, dass das Terrain glatt/neu/schlüpfrig… ist – und verhalte mich entsprechend. Besonders gut gelingt mir dies im Wissen, dass ich schon andere – vielleicht sogar ungleich schwierigere – Situationen gemeistert habe.

Hilfreich kann es sein, Frustrationstoleranz aus einem Gebiet in ein anderes zu übertragen. Indem wir uns fragen: Was hat mir geholfen, jenen Erfolg damals zu erleben? Was davon könnte mir nützen, um auch mit dieser Prüfung hier fertigzuwerden? Nach dem Muster: «Ausdauer habe ich bei XY genügend gezeigt – da werde ich doch auch Z schaffen!»

Schritt 2: «Ich kann diese Situation nicht (ganz) kontrollieren. Was aber kontrollierbar ist: meine Reaktion darauf.»

Natürlich wünschen wir uns, auch in schwierigen Situationen immer die Oberhand zu behalten. Manchmal sind sie aber ganz einfach zu komplex: sei es, weil andere Personen involviert sind (und Menschen nun mal unberechenbar reagieren), sei es, weil sie für uns neu sind (beim Lernen passiert dies nicht selten). Wie reagieren wir darauf? Mit Überraschung, Ärger, Verzweiflung… oder aber, indem wir uns zuerst darauf konzentrieren, unsere Ruhe zu bewahren. (Hier hilft Achtsamkeitstraining, Konzentration auf den Atem, auf 10 zählen oder auch einfach mal den Raum zu verlassen). Wer regelmässig explodiert, immer wieder panisch oder kopflos reagiert, sollte bei diesem Schritt länger verweilen und genau dies üben: die innere Ruhe wiederfinden.

Schritt 3: Ich weiss NOCH nicht, wie das geht (aber ich kann es herausfinden).

Die geniale Lösung ist nicht immer griffbereit – wir brauchen Zeit, um etwas herauszufinden oder eine notwendige Fähigkeit zu trainieren. Dabei ist es überaus hilfreich, mit einer offenen, veränderungsfreundlichen Haltung an das Problem heranzugehen. «Ich weiss es NOCH nicht. Aber ich kann es lernen, wenn ich dies oder jenes tue (täglich übe, noch etwas dranbleibe, dem Problem auf den Grund gehe, ruhig werde etc.).» Nützlich ist dabei ein dynamisches Selbstbild, das ich hier schon erklärt habe.

Schritt 4: Ich teile das Problem in kleinere Portionen auf, die ich bewältigen kann.

Die drei vorherigen Schritte machen es mir leichter, das vorliegende Hindernis sachlicher zu betrachten. Starke Emotionen (Ärger, Wut, Enttäuschung, Angst) verhindern oft den Blick auf das eigentliche Problem. Sobald ich es sehe, kann ich mir überlegen, wie ich es in kleinere Portionen aufteile, die leichter zu bewältigen sind. Oder auch: Kleine Portionen, von denen ich weiss, dass ich sie lösen kann. Beim Lernen kann das beispielsweise so aussehen:
– Schwierige (Mathe)Aufgabe: Ich versuche, eine Teilaufgabe zu erledigen und schaue, ob sie mich weiterbringt. Wenn nicht, schaue ich in der Theorie nach oder lasse mir helfen.
– «Nervige» Hausaufgaben: Ich erledige die Hausaufgaben wenn immer möglich an dem Tag, an dem ich sie bekommen habe. Dann ist der Stoff noch halbwegs präsent – was die Sache erleichtert.
– Prüfungsvorbereitung: Ich arbeite meine Lernziele nicht alle an einem Tag ab, sondern mache kleinere Portionen und verteile sie über mehrere Tage.

Das können Eltern tun, um die Frustrationstoleranz ihrer Kinder zu stärken:

Es ist beunruhigend, wenn man als Eltern merkt, dass die lieben Sprösslinge beim Lernen schnell frustriert sind oder sogar jegliche Anstrengung vermeiden. Schliesslich wissen wir Erwachsenen: Das Leben hält immer wieder mal Situationen bereit, in denen wir etwas aushalten oder in die wir uns reinknien müssen. Nicht einmal der Traumjob ist ganz frei von Frustrationen!

Eines müssen Eltern jedoch unbedingt sehen: Sie können ihrem Kind seine Aufgabe nicht abnehmen. Das sollen sie auch nicht! Kinder und Jugendliche brauchen Herausforderungen, um an ihnen zu wachsen – wer nie Frustration erlebt, kann keine Frustrationstoleranz entwickeln! Wie auch? Aber Eltern können deutlich machen, dass sie ihrem Kind zutrauen, es zu schaffen – und ihm im Notfall den Rücken stärken.

Vier Schritte – für Eltern:

  1. Ja, ich sehe: das ist wirklich schwierig für dich. (Nicht: Komm, du schaffst das doch locker… Oder: Du bist doch so schlau…. Oder: Streng dich halt ein wenig mehr an. Warum «Du schaffst das» auch kontraproduktiv wirken kann, habe ich hier schon erklärt.)
  2. Was könnte dir helfen, diese Situation besser auszuhalten? (Was tust du jetzt? Hilft dir schimpfen/davonrennen/weinen?). Diese Frage dürfen Sie nicht mit fertigen Lösungen im Hinterkopf stellen oder einem fixfertigen Ratschlag. Sie wissen vielleicht, wie Ihre Lösung aussähe – aber Ihr Kind braucht Spielraum, um auf eigene Lösungen zu kommen.
    Was, wenn es auf die Frage mit «keine Ahnung!» antwortet? Dann können Sie fragen: Was hat dir damals geholfen, um XY zu erreichen? Oder: Was würde dein Freund/deine Freundin tun in einer solchen Situation? Oder: Was würde Superman/Superwoman (oder ein anderes Vorbild) tun?
    Indem Sie beharrlich fragen, signalisieren Sie dem Kind: «Du stehst da vor einem ganz verzwackten Problem – aber ich traue dir zu, dass du es lösen kannst.»
  3. Du weisst jetzt gerade vielleicht nicht, wie die Lösung aussieht – aber ich glaube ganz fest daran, dass du sie finden kannst. (Damit geben Sie Ihrem Kind vielleicht sogar etwas Vertrauen auf Kredit…. Wenn du es wirklich willst – darüber habe ich hier schon geschrieben).
  4. Was wäre ein erster Schritt, der dich weiterbringt? Und der nächste? Und der nächste?

Was hat Ihnen geholfen, Frustrationstoleranz zu entwickeln? Was tut es heute noch? Wer sind Ihre Vorbilder? Wie können Sie üben, nervige Situationen besser auszuhalten? Als Eltern können Sie einen wunderbaren, positiven Einfluss auf Ihre Kinder haben – indem Sie vormachen, wie «cool bleiben und durchziehen» geht!

Wer sich noch mehr ins Thema Frustrationstoleranz vertiefen möchte, schau doch mal hier: https://starkekids.com/frustrationstoleranz/ Das Team von Starkekids hat 11 Übungen für Eltern formuliert, die ebenfalls dazu beitragen sollen, die Frustrationstoleranz innerhalb der Familie zu erhöhen.