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Fehler erkennen will gelernt sein

Fehler erkennen

Fehler erkennen ist gar nicht so einfach – schon gar, wenn es um die eigenen Fehler geht. Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung

Im Umgang mit Fehlern sehe ich in meiner Lernpraxis ganz viele … Fehler! Kurz gesagt: Die allermeisten Lernenden versuchen schlicht, Fehler zu vermeiden oder (wenn solche doch passiert sind) zu ignorieren. Das ist verständlich, denn unser Schulsystem belohnt das Richtige und bestraft den Fehler. Warum das so sein muss, ist mir schleierhaft. Denn diese Negativsicht auf eine an sich wertvolle Information wäre so einfach zu verändern: „23 von 28 Wörtern richtig im Diktat!“ „75 Prozent der Aufgaben korrekt.“ Das wäre doch nicht so schwierig? Und würde wahrscheinlich dem Fehlerhaften seinen Stachel nehmen.

Fehler sind Informationsquellen, keine Kränkungen

In letzter Zeit erzählen mir immer Schüler und Schülerinnen, dass sie ihre Prüfungsresultate gar nicht mehr nach Hause nehmen dürfen. Zwar dürfen sie sie anschauen – oder eher: die erzielte Note zur Kenntnis nehmen. Manchmal werden die Prüfungen besprochen – aber in der Regel eher nicht.

Doch selbst wer die korrigierten Prüfungen behalten darf, lernt allzu häufig nicht daraus. Viele Lernende haben sich angewöhnt, bloss die Note anzuschauen und das Thema dann innerlich abzuhaken. Das ist fatal. Denn wie können sie sich so verbessern? In der Regel sind Fehler gute Lehrmeister!

«Ein Experte ist jemand, der in einem begrenzten Feld alle Fehler gemacht hat, die man machen kann.»

Niels Bohr (deutscher Physiker, 1885-1962)

Hier also eine Anleitung, die Schritt für Schritt aus der Fehler-Falle führt:

Schritt 1: Fehlerfreundlich(er) werden

Meine ernst gemeinte Empfehlung an Fehlerfeinde lautet: «Freunde dich mit deinen Fehlern an. Erkenne, dass sie eine wichtige Information sind – eine Art Wegweiser, um leichter und schneller zur Lösung oder zur korrekten Antwort zu kommen.» Das setzt natürlich voraus, dass Lernende ihre Fehler auch anschauen. Und: es aushalten, dass auch beim Lernen Fehler auftreten können.

«Ich darf Fehler machen – weil ich daraus lerne und mich entwickle.» Wer dies weiss, ist eher bereit, die doofen Fehler anzuschauen. Denn ja, klar, es ist tendenziell unangenehm, die eigene Inkompetenz vor Augen zu haben. Andererseits fördert es den Lernerfolg, sich selbst als ein Wesen zu sehen, das sich entwickelt – auch mit Hilfe der gemachten Fehler.

(Die amerikanische Psychologin Carole Dweck hat darüber geforscht – und ich habe hier darüber geschrieben.)

Ein Tipp für Eltern: Bringt Ihr Kind/Teenager eine Prüfung oder das Resultat nach Hause, versuchen Sie, sich weniger für die Note und vielmehr für das zu interessieren, wie das Resultat zustanden kam: „Oh toll – das hast du gut gemacht. Wie ist dir das so gut gelungen?“ Oder: „Hm. Da ist ja einiges schief gelaufen. Was denkst du, wie kam es dazu?“ Erst in einem zweiten Schritt dürfen Sie zu einer detaillierten Fehleranalyse (siehe unten) anregen.

Schritt 2: Die eigenen Fehler erkennen und systematisch analysieren

Selbst wer seine Prüfungsresultate nicht genau untersuchen darf, kann über seine eigenen typischen Fehler nachdenken – oder sie analysieren lassen.

Es gibt Fehlergruppen, die sich häufen. Wer 50 % seiner Fehler im Aufsatz wegen falscher Gross- oder Kleinschreibung macht, hat ein grosses Interesse daran, diese Regeln zu kennen/können! Wer weiss, dass die Hälfte der Verben, die im Englischen gebraucht werden, unregelmässig sind, sollte diese wirklich können. Eine Liste der «typischen Fehler» in den Fächern, die Schwierigkeiten bereiten, ist hilfreich.

Übrigens: Gerne biete ich Ihnen eine ausführliche Fehleranalyse mit Empfehlungen fürs Lernen an. Eine kleine Investition – mit oft grosser Wirkung. Rufen Sie mich an oder schicken Sie mir eine Mail.

Schritt 3: Fehler brauchen Zeit

Wir möchten unsere Sache gerne richtig machen – das ist ganz natürlich und verständlich. Passieren beim Lernen oder Üben Fehler, sind wir genervt, frustriert oder sogar wütend. So oder so: Fehlermachen ist unangenehm und wir möchten gerne so rasch wie möglich aus dieser Situation herauskommen. Dies führt dazu, dass viele Lernende so richtig Gas geben, wenn sie merken, dass etwas nicht rund läuft. Sie möchten einfach so schnell wie möglich mit diesem «Quatsch» fertig werden.

Passieren Fehler, müssen wir aber langsamer werden und einen oder mehrere Schritte zurück machen. Warum ist das falsch? Was habe ich nicht verstanden? Welches Detail ist mir entgangen? Wo klemmt’s? Erst, wenn die einzelnen Schritte geklärt sind, dürfen wir wieder im normalen Tempo weiterlernen.

Ich vergleiche das gerne mit einem Spaziergang auf einem gefrorenen Teich: Wenn es unter den Füssen knackt oder das Eis bricht, sollten wir schleunigst zurückkehren auf sicheren Boden. Sicherer Boden heisst beim Lernen: «Bis hierhin verstehe/kann ich es!»

Schritt 4: Fehler erkennen und sofort korrigieren lernen

In Prüfungen ist bei vielen Schülern ebenfalls ein Muster zu erkennen, das zu schlechterer Leistung führt:

Unter Zeitdruck geben sie der Versuchung nach, schnell alles hinzuschreiben, was ihnen gerade so in den Sinn kommt. Immer mit dem guten Vorsatz, am Ende der Prüfung alles noch einmal zu korrigieren. Dieser Plan geht natürlich nur auf, solange wirklich genügend Zeit vorhanden ist, um dann alles noch zu korrigieren. Aber wie oft ist dies wirklich der Fall? Doch selbst wenn! Diese Methode hat noch einen Haken: Die eigentliche Denkleistung muss zweimal geleistet werden. Warum?

Wie oft wird dieselbe Aufgabe bearbeitet?

Nehmen wir an, es handle sich um eine mehrteilige Prüfung mit 12 Aufgaben. Ich löse zügig Aufgabe um Aufgabe. Weiss ich am Ende (nach elf weiteren Aufgaben) noch, was in Aufgabe 1 gefragt war? Am Ende der Prüfung muss ich also diese Aufgabe noch einmal lesen und darüber nachdenken, wie ich sie lösen könnte. Anders gesagt: Ich leiste die Hauptarbeit noch einmal. Und diesmal müde und unter Zeitdruck.

Die erfolgreiche Methode

Sie geht so: Jede Aufgabe wird sorgfältig geprüft, sofort nachdem sie geschrieben wurde.

Mathe und Physik: Wenn gerechnet wird, sofort noch einmal nachrechnen. Operationen und Vorzeichen prüfen. Frage überschlagen – kann mein Resultat stimmen?
Bio, Geschichte: Prüfen, ob wirklich alle Teile der Frage bearbeitet wurden – jeden Auftrag einzeln abhaken, z.B. «Gründe benennen, Abläufe aufzeigen, Personen aufzählen…»
Sprachfächer: die eigene Antwort noch einmal Wort für Wort prüfen. Beispielsweise wenn der Satz «sie (die Mädchen) gehen zum Bahnhof» ins Französische zu übersetzen ist, wird so sorgfältig Wort für Wort kontrolliert: Sie ? (3. Person Plural, feminin: Elles) Gehen ? (aller – in der 3. Person Plural = vont); zum ? (zum = à), Bahnhof ? (la gare, feminin).

Kleiner Nachteil – gewichtige Vorteile!

Zugegeben, diese Methode hat einen Haken: Sie macht uns zuerst einmal langsamer. Deshalb rate ich immer dazu, sie sofort und bereits beim Lernen zuhause einzuüben. Wem dieses Vorgehen in Fleisch und Blut übergeht, der wird schneller darin. Und macht deutlich weniger Fehler!

Wer noch zweifelt, kann sich Folgendes überlegen: Was ist in einer Prüfung besser: 80 Prozent mit ziemlicher Sicherheit korrekt oder 100 Prozent irgendwie gelöst? Ich habe in meiner Lernpraxis in den letzten Jahren häufig gesehen, dass genau dieses sofortige Kontrollieren die Noten deutlich verbesserte! Wenn ich also nach einem «Geheimtipp» gefragt werde, dann ist es sicherlich dieser.

Schritt 5: Flüchtigkeit als eigene Fehler erkennen

Flüchtigkeitsfehler treiben Lernende (und ihre Betreuungspersonen) oftmals in die Verzweiflung. «Warum habe ich das übersehen?» «So doof – das weiss ich doch!» Die Klagen sind mannigfaltig. Flüchtigkeitsfehler sind eigentlich Störungen im Arbeitsprozess. Es fällt jemandem etwa schwer, von einem Aufgabentyp zum nächsten zu wechseln. Beispielsweise werden einige +-Aufgaben richtig gelöst, dann aber übersehen, dass jetzt -Aufgaben folgen.

Soforthilfe gegen Flüchtigkeitsfehler ist oftmals der oben beschriebene Schritt Nr. 4 – also die sofortige Kontrolle der gegebenen Antwort.

Wer Aufgaben häufig überliest oder falsch interpretiert, muss genau dies trainieren: Komplexe, mehrteilige Aufgaben langsam Schritt für Schritt abarbeiten. Hier hilft es, die «Befehle» in der Aufgabe zu markieren (z.B. rechne, benenne, zeichne, schätze) und nach dem Lösen der Aufgaben noch einmal zu kontrolleren: Habe ich alles erledigt? Oftmals stecken in einer Aufgabe mehrere. Ein Häkchen über jedem «Befehl» räumt jeden Zweifel aus.

Möchten Sie diese Methode gerne üben? Schreiben Sie mir eine Mail, ich schicke Ihnen gerne eine detaillierte Arbeitsanleitung.

Wie Sie ihren Kindern helfen, eigene Fehler erkennen zu können:

  • In der Familie eine Kultur der «Fehlerfreundlichkeit» einführen. (Es kann helfen, dies in lockerer Atmosphäre zu thematisieren, beispielsweise beim Abendessen: «Mein Fehler des Tages – und wie ich damit umgegangen bin.»
  • Prüfungen (und Noten!) nicht negativ kommentieren, sondern interessiert betrachten: «Hm – schau mal, das ist ein Fehler, den du zuhause nicht machst. Wie könntest du ihn das nächste Mal verhindern?»
  • Fehler als wichtige Information sehen. «Schau mal, du hast hier richtig gerechnet, aber die Kürzungsregel vergessen.» «Schau mal, bei dir sitzen die Verbformen nicht – wenn du die Verben richtig geschrieben hättest, wärst du mehr als genügend.»
  • Sofort kontrollieren lernen. (Schritt Nr. 4)
  • Wenn Eltern gebeten werden, Hausaufgaben oder andere Arbeiten zu kontrollieren, sollten sie nicht den einzelnen Fehler zeigen, sondern nur erklären, dass es «im dritten Satz» oder «in der zweiten Aufgabe» einen Fehler hat. Nach Bedarf weitere Hinweise geben, aber möglichst reduzieren.

Das Wichtigste in Kürze:

  • Fehler als Information betrachten, um daraus zu lernen
  • Prüfungsresultate unbedingt studieren
  • Eine eigene Fehleranalyse erstellen
  • Aufgaben sofort systematisch kontrollieren
  • Aufgaben in Teilschritten abarbeiten und kontrollieren
  • Eltern: Kindern helfen, ihre Fehler zu suchen