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Dranbleiben – wie das geht und was es nützt

Dranbleiben beim Lernen

Dranbleiben beim Lernen – eine wichtige Fähigkeit, die wir trainieren können. Und sollten.

«Himmel hoch jauchzend – zu Tode betrübt.» Das geflügelte Wort aus Goethes Theaterstück «Egmont» geht mir oft durch den Kopf, wenn ich an die vergangenen Wochen und Monate denke und an das, was uns als Gesellschaft gerade umtreibt. Da ist so viel Gutes, das uns glücklich machen kann, und da ist so viel Unangenehmes oder sogar Schweres, was uns betrübt – manchmal ist es ein tägliches Auf und Ab. Die Zeiten sind wahrlich nicht einfach – und wer weiss, was sie noch bringen werden. Das macht das Dranbleiben beim Lernen, Arbeiten oder allgemein im Leben nicht gerade einfach.

Ständiges Mitschwingen ist so anstrengend!

Im Lerncoaching ist mir dieses Phänomen bestens vertraut: nicht wenige Schülerinnen und Schüler schwanken in ihrer Einstellung zu Schule und Lernstoff heftig: Heute sind sie begeistert und motiviert, morgen enttäuscht und entmutigt – und so geht es weiter im steten Wechsel, oft in atemberaubendem Tempo. Die Anstrengung ist ihnen meist auch ins Gesicht geschrieben. Wie sollte auch Ruhe und Gelassenheit entstehen, wenn die Einstellung täglich ändert?

Dranbleiben beim Lernen lohnt sich.

Was bringt Stabilität? In meiner Erfahrung: Die Fähigkeit, an etwas dranzubleiben, auch wenn die Umstände schwieriger werden. Das heisst auch, es auszuhalten, dass nicht alles «himmelhoch jauchzend» sein kann. Das heisst auch, Gefühle wie «betrübt» oder «frustriert» oder «traurig» oder «wütend» auszuhalten. Wenn das Ziel sich lohnt, lohnt es sich auch, daran festzuhalten.

«Wenn ich meine Aufgaben erledigt habe, bin ich zufrieden.» Wer bei Schwierigkeiten aufgibt, erlebt keinen Erfolg. Erlebt nicht diese Zufriedenheit, die entsteht, wenn etwas gelungen ist. Das Glücksgefühl, das sich einstellt, wenn wir etwas betrachten, das wir selbst gemacht oder geschafft haben.

Umgekehrt: Jedes Mal, wenn wir etwas aufgeben, nicht fertig machen oder davor davonlaufen, schrumpft unser Selbstvertrauen. «Ich schaff das ja eh‘ nicht» – diese fiese kleine Stimme bekommt Nahrung.

Das Problem nicht wegreden, wegdrücken…

Es stinkt Dir? Du möchtest diese blöden Rechnungen am liebsten an die Wand pfeffern? Diese langweiligen Übungen nerven Dich? Du wärst lieber in der Badi? Ja, ja und nochmal ja! Genau so ist es – oft!

Schwierig wird es oftmals genau deshalb, weil wir es nicht zugeben oder annehmen wollen, dass Situationen schwierig, frustrierend, belastend, herausfordernd und zum Uns-die-Haare-raufen sind. Doch die Selbstbeschwichtigung oder -Beruhigung «das schaffe ich doch» oder «das wird dann schon klappen» beruhigt uns eben gerade nicht. Im Gegenteil: Die innere Unruhe steigt, die Sorge, die nicht ausgesprochen werden darf, arbeitet im Untergrund in uns – modert, gärt.

Der wichtigste erste Schritt ist deshalb, anzuerkennen, dass es so ist, wie es ist. Mit anderen Worten: das Gefühl zulassen: Ja. Das stimmt. (Gefühl zulassen.) Manchmal ist das Leben ganz schön hart. (Eltern tun übrigens gut daran, genau diesen ersten Schritt öfter zu befolgen und dem Kind zu signalisieren: Ja, ich erkenne, wie Du Dich fühlst. Und Du hast auch recht: oftmals ist es schwierig.)

Und dann erst ist es Zeit für Ermutigung oder einen sanften Kick…

Dranbleiben beim Lernen – so gelingt’s:

«If you get tired, learn to rest, not to quit.» («Wenn Du müde wirst, lerne Dich auszuruhen und nicht aufzugeben.») Dieses wunderbare Zitat wird dem britischen Künstler Banksy zugeschrieben. Und er hat so recht: Meistens sind wir einfach nur müde, wenn wir aufgeben möchten. Was wir dann oft zuerst einmal brauchen, sind gute Pausen. Lernende, die beim Lernen immer wieder kurze Pausen einlegen, gelingt das Dranbleiben beim Lernen meistens sehr viel besser als Lernenden, die sich stundenlang und pausenlos abmühen.

Auch diese Tipps können helfen, dranzubleiben:

  • Ein lohnendes Ziel setzen: Alles wird einfacher, wenn ein lohnendes Ziel vorhanden ist. Zwar ist eine persönliche Vision sehr motivierend («Ich werde Astronaut» oder «Ich schaffe die Abschlussprüfung in XY»), doch nicht jedem ist sie gegeben. Dennoch lohnt es sich, über mögliche Ziele nachzudenken. Gute Ziele sind «smart». Im Englischen: self-induced, measurable, realistic, timebound. Anders gesagt: Wenn Ziele selbst gewählt, messbar, realistisch und zeitlich eingrenzbar sind, werden sie eher erreicht. Es ist oft auch hilfreich, die Ziele gut sichtbar zu machen – vielleicht auf einem Plakat? – und sie irgendwo aufzuhängen, wo wir sie oft sehen.
  • Wo das grosse Ziel fehlt, helfen manchmal clevere Zwischenziele. Die Note in der nächsten Prüfung, die Qualität der nächsten schriftlichen Arbeit, diese eine schwierige Formel verstehen und anwenden können, eine gute Lernsession (mit Pausen!), das Gespräch mit der Lehrperson….
  • Im Team lernen. Motivationskrisen lassen sich im Team oft sehr viel besser überstehen. Und wer jemandem versprochen hat, dies oder jenes gemeinsam zu lernen, gibt weniger leicht auf, als wenn es niemanden kümmert, ob es getan wird oder nicht.
  • Erfolge feiern. Sich immer wieder in Erinnerung rufen, was bisher alles geklappt hat und wie weit wir bereits gekommen sind, gibt Kraft und Mut. Eine (geheime) Liste «meine grössten Erfolge» kann der Erinnerung auf die Sprünge helfen.
  • Zuversicht und Vertrauen schöpfen: «Du wirst besser, wenn Du übst. Wenn Du Schwierigkeiten überwindest, wirst Du stärker.» Diese Art der Selbstüberzeugung ist wertvoll – denn sie ist wahr. «Du schaffst das» dagegen ist riskant: denn wir wissen nur zu genau, dass wir eben nicht alles schaffen. Erfolg ist ein Prozess, kein Ereignis. Viele kleine mutige Schritte führen dorthin.
  • Das Dranbleiben im Sport oder Spiel üben. Im Team die zweite Spielhälfte durchstehen, das nächste Level schaffen, den Gipfel erreichen – solche Dinge helfen, die Willenskraft zu stärken, die manchmal auch nötig ist, wenn wir beim Lernen dranbleiben wollen.
  • Ein paar wenige, gute Lerngewohnheiten einrichten. (Warum und wie, das habe ich hier beschrieben.)
  • Rezept für den Notfall erstellen und bereit halten. Viele Menschen haben vor uns schwierige Situationen durchgestanden. Wir lesen darüber in der Literatur, in Gedichten, hören davon in Liedern, sehen es in der Malerei… Warum nicht für den Notfall ein Gedicht bereithalten (oder sogar auswendig lernen!), das uns durchs Tal der Tränen hindurch hilft? Ein Lied anhören, das uns Mut macht? Ein inspirierendes Bild über den Arbeitstisch hängen…

Cool bleiben – besonders gegenüber der eigenen Wankelmütigkeit

Wenn die oben beschriebenen Voraussetzungen geklärt sind – gemischte oder negative Gefühle zugelassen, Zuversicht getankt – dürfen wir auch ein wenig mehr Coolness anwenden. Wir müssen ja nicht bei jedem Hupser des Herzens ausflippen oder in Verzweiflung geraten, oder? Gewisse Dinge sind schwierig. Und gewisse Dinge müssen einfach erledigt werden.

In «Egmont» zeigt Goethe auf humorvolle Art und Weise durch einen kurzen Dialog, wie diese Coolness gegenüber der eigenen Wankelmütigkeit auch aussehen kann:

Clärchen:

Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein;
Langen und bangen in schwebender Pein;
Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt;
Glücklich allein ist die Seele, die liebt.

Worauf ihre Mutter trocken erwidert: «Lass das Heiopopeio.»

Hat sich die Mutter bei Clärchen beliebt gemacht? Wohl kaum. Hat sie recht? Wahrscheinlich. Nützt es? Eher nein. Ehrlich gesagt fürchte ich, dass eine solche Reaktion kaum je zum erwünschten Ziel führt, denn wer hört so etwas schon gerne von anderen und ändert dadurch sein Verhalten? Von unseren Mitmenschen (und ganz besonders von Eltern!) wünschen wir uns doch eher Trost und Verständnis. Aber was, wenn wir uns selber auf diese Art an die Kandarre nähmen? Unseren vielen, wilden Auf und Abs, Wehwehchen und Frustratiönchen die kalte Schulter zeigten?

Wagen wir das Experiment und sagen zu unserem jammernden Selbst (und nur zu diesem!) ganz freundlich: «Mach es trotzdem. Tu’s einfach.»

Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass wir uns nicht immer und überall gnadenlos antreiben sollten. Wie so oft im Leben ist es das Mass, das zwischen Nutzen und Schaden entscheidet. Aber vielleicht sollten wir, bevor wir etwas aufhören, aufgeben oder davor weglaufen, es erst einmal mit ein wenig Coolness probieren: «Lass das Heiopopeio.»

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