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Wie beim Lernen helfen, wenn ich es selber nicht weiss?

Das Bild zeigt ein Elternteil, das sich fragt, wie es dem Kind beim Lernen helfen kann, obwohl es selbst nur Bahnhof versteht.

Rechtschreibung, Französisch, Mathe, Bio – müssen Eltern alles wissen und können? Nein. Im Gegenteil: Es ist für alle Beteiligten ungünstig, wenn Eltern permament in die Lehrerrolle schlüpfen. Aber sie können eine Menge tun, um beim Lernen wirklich zu helfen.

Vor einiger Zeit trat nach einem meiner Referate eine Mutter auf mich zu. Sie wirkte schüchtern und wartete, bis wir alleine waren, um mir ihr Problem zu schildern. «Ich bin Legasthenikerin und habe grosse Schwierigkeiten in Rechtschreibung. Jetzt sehe ich, dass mein Sohn – ein Viertklässler – sich genau so schwer tut. Ich mache mir grosse Sorgen, dass er meine Schwäche geerbt hat und weiss nicht, wie ich ihm helfen kann.» Ich fragte sie, wie sie denn als Erwachsene mit ihrer Schwäche umgehe.

«Ich habe gelernt, den Duden zu benutzen. Ausserdem lasse ich wichtige Texte von jemandem durchlesen.» «Sie gehen also sehr kompetent mit dieser Schwäche um! Trauen Sie Ihrem Sohn zu, dass er das auch lernen kann?» Sie dachte eine Weile nach und sagte dann: «Ich hatte eher gehofft, Sie wüssten mir einen Rat, wie er Rechtschreibung schneller lernen kann.» Natürlich musste ich sie enttäuschen. Diese eine, alles erleichternde Lernstrategie für Rechtschreibung existiert nicht. Aber ich konnte ihr aufzeigen, wie sie ihrem Kind trotzdem ganz toll beim Lernen helfen kann.

Müssen Eltern alles wissen, um beim Lernen zu helfen?

Manchen Eltern fällt es leicht, ihren Kindern den Primarschulstoff noch einmal zu erklären. In vielen Familien ist die Atmosphäre auch entspannt und die Kinder profitieren davon, dass ihre Eltern ihnen beim Lernen helfen können. Nicht selten geraten auch diese Familien dann aber auf der Oberstufe in Schwierigkeiten. Wie läuft nochmal die Photosynthese ab? Welche Verben verlangen im Französischen den Subjonctif? «Ich muss mich oft stundenlang einlesen, bis ich den Stoff verstehe», erklären mir nicht wenige Eltern im Erstgespräch. Spätestens auf der Oberstufe wird klar: Die wenigsten Eltern können den Job des Nachhilfelehrers leisten. Und sie sollen auch nicht! Denn ist nicht genau dies die Aufgabe ihrer Kids? Spätestens jetzt müssen sie es selber packen.

Das Schwierigste für Eltern ist vielleicht genau dies: Zuzugeben, dass sie etwas nicht können oder wissen. Wer möchte sein Kind schon im Stich lassen? Aber im Stich lassen würde heissen: «Mach das selber – das interessiert mich nicht.» So fühlen sich Kids allein gelassen – zu Recht. Zwischen absoluter Gleichgültigkeit und totaler Überfürsorge (was die gratis 24-Stunden-Nachhilfe letztlich ist) gibt es aber noch einigen Spielraum, um beim Lernen helfen zu können.

«Haben Sie Ihrem Sohn erzählt, dass Sie selber Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung haben?» fragte ich die eingangs erwähnte Dame. «Nein», gab sie zu, «es ist mir einfach zu peinlich.» «DAS ist Ihr erster Schritt zur Besserung», versprach ich ihr. «Zeigen Sie Ihrem Sohn, dass Sie im selben Boot sitzen. Sie sind die beste Person, um ihm glaubwürdig aufzuzeigen, wie mit dieser speziellen Schwierigkeit umgegangen werden kann.»

«Ich weiss, dass ich nichts weiss»

Nun gut – Eltern müssen ja nicht gerade so weit gehen wie Sokrates, der wusste, dass er nichts weiss. Aber zuzugeben, dass sie in diesem oder jenem Thema einfach nicht (mehr) drauskommen, ist ein guter erster Schritt. Jetzt sind Eltern und Kids auf Augenhöhe – und: im gleichen Boot. «Wir wissen nicht, wie die Lösung heisst. Schauen wir doch mal…»

Ein kleiner Tipp am Rande: Die Entscheidung, nicht mehr rund um die Uhr als Nachhilfelehrer/in zur Verfügung zu stehen, sollte nicht spontan und/oder in der Wut getroffen werden. Es wird nicht gut ankommen, dem bisher an Hilfe gewöhnten Kid oder Teen am Abend vor der Prüfung die neuen Richtlinien mitzuteilen und ihn oder sie buchstäblich im Regen stehen zu lassen. Ich weiss, wovon ich spreche! Wir Eltern sind schwer herausgefordert, wenn ein verzweifeltes Lernwesen kurz vor Torschluss um Hilfe bettelt. Wer wollte da (mit)schuldig sein an der schlechten Note, die da droht? Viel besser ist es, die Situation grundsätzlich zu besprechen. In Ruhe und ohne hochgehende Emotionen. Eine mir bekannte Familie hat dies so geregelt: «Wer Hilfe braucht, muss vor dem Abendessen kommen. Danach haben auch wir Eltern unseren Feierabend verdient.» Das ist ein guter, erster Schritt zu mehr Selbständigkeit beim Lernen (über die ich hier schon ausführlich geschrieben habe).

Problemlösung als eigene Kompetenz betrachten

Wer nicht immer wieder als Feuerwehrmann oder -frau in Erscheinung treten möchte (oder kann, denn es wird zunehmend anstrengend), sollte jetzt den Fokus auf die Fähigkeit der Problemlösung legen, um dem Kind wirklich beim Lernen helfen zu können. «Was machst du, wenn….?» «Wie kannst du….?» «Wo findest du….?» Gute, ernst gemeinte (!) Fragen helfen dabei. Am Beispiel der Dame mit dem Rechtschreibproblem könnte dies so aussehen: Statt dass sie immer wieder die Frage «wie schreibt man das?» beantwortet, nimmt sie sich einmal Zeit und geht die Sache gemeinsam mit dem Jungen strategisch an:

  • Was können wir tun, um diese spezifische Schwierigkeit gelassener zu ertragen und mit mehr Mut anzugehen? (Die Mutter könnte ihrem Sohn von ihren eigenen Erfahrungen berichten und/oder ihm von Menschen erzählen, wie dem Legastheniker Jacques Dubochet, der 2017 den Nobelpreis für Chemie erhielt – und in der Schule nach eigenen Angaben kein guter Schüler war.)

Eigene Ziele aktivieren:

  • Was möchtest du in Rechtschreibung erreichen und wie viel Zeit möchtest du dafür investieren? (Es ist oft schon viel gewonnen, wenn 10 Minuten täglich an etwas geübt wird. Ist aber gar keine Bereitschaft vorhanden, wird es schwierig. Ich würde diese Entscheidung nicht leichtfertig treffen – aber hin und wieder kann es auch sinnvoll sein, mit dem Problem zu leben und nicht endlos viele Stunden zu investieren, um es zu beheben.)
  • Wie kannst du dich in Rechtschreibung verbessern? (Die Mutter kann dem Jungen zeigen, wie sie regelmässig den Rechtschreibe-Duden benutzt. Wenn er gut nachschlagen kann, hilft ihm dies. Auch könnte es sinnvoll sein, gezielt wichtige Wörter zu trainieren, etwa mit einer Lernkartei. Vielleicht machen sie sogar ein tägliches Spiel daraus? Beim Frühstück werden drei, vier schwierige Wörter gegenseitig abgefragt, die in einem Glas auf dem Tisch warten.)

Hilfe suchen und annehmen ist eine wichtige Kompetenz!

  • Wer oder was könnte Dir jetzt ganz konkret bei Deiner Frage helfen? (Klassenkamerad/innen, Freund/innen, Bekannte, Verwandte – aber auch Nachschlagewerke, Duden oder tolle Lernvideos wie die von „The Simple Club“.)

Die beste Hilfe ist Hilfe zur Selbsthilfe!

Meine Tochter nannte mich eine Zeitlang «Wikimama» – weil ich offenbar einfach immer eine (rasche!) Antwort auf ihre Frage(n) wusste. Natürlich war dieser Spitzname schmeichelhaft. Habe ich Ihr damit einen Gefallen getan? Ich bin nicht mehr so sicher. Es ist wichtig, dass Kinder und Teens auch lernen, dass die Auseinandersetzung mit Aufgaben oder Themen ihre Zeit braucht und dass die Vertiefung bei der Suche nach Antwort(en) zu einem vertieften Wissen führt.

Wie kannst du mir beim Lernen helfen?

Heutige Kinder sehen ihre Erwachsenen meistens in einer Position der Überlegenheit – selten als Übende. Woher sollen sie also lernen, wie man vernünftig mit Fehlern, sowie den damit verbundenen Frustrationen und Schwierigkeiten umgeht? Warum also nicht einmal den Spiess umdrehen und fragen: «Hast du mir einen Tipp, wie ich das einfacher lernen kann?» Oder: «Ich bin gerade gar nicht motiviert. Was machst du in einer solchen Situation?» Wer als Erwachsener selber täglich eine Fähigkeit übt (zum Beispiel eine Sprache, ein Musikinstrument oder ein Handwerk), hat sehr viel mehr Verständnis für andere, denen nicht alles auf Anhieb gelingt. Eltern und Kids können so ein Team bilden – die alle am gleichen Strick ziehen. Damit wird vieles, wenn nicht sogar alles leichter.