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Perfektionismus beim Lernen überwinden

Perfektionismus - auf Dauer einfach nur anstrengend!
Perfektionismus - auf Dauer einfach nur anstrengend!

Wer immer nur nach den höchsten Früchten greift, verpasst die anderen.

Perfektionismus ist auf Dauer kein guter Lernbegleiter. Klar, ein wenig Ehrgeiz oder hohe Ziele können durchaus anregend wirken und zur Bestleistung motivieren. Hier soll aber nicht von normaler Zeilstrebigkeit die Rede sein, sondern vom Drang, alles immer perfekt zu machen.

Dem Perfektionismus beim Lernen liegen zwei fatale Annahmen zugrunde:
1. Gute Leistungen sind selbstverständlich. (Deshalb kein Grund zur Freude.)
2. Schlechte Leistungen sind inakzeptabel. (Deshalb ein Grund zum Ärgern.)

Wer so denkt, erlaubt sich nie einen Moment der Freude über das, was geleistet wurde.

Ausserdem: Wer ständig darüber nachdenkt oder daran arbeitet, wie etwas noch brillianter, noch beeindruckender, noch perfekter gemacht werden kann, dem bleibt schlicht zu wenig Zeit zum Lernen.

Perfektionismus beim Lernen kann sich zeigen in…

  • übermässiger Sorge um kleinste Details (Hefteinträge werden bis zum letzten i-Pünktchen liebevoll ausgemalt – doch dabei kommt die Beschäftigung mit dem Inhalt zu kurz)
  • übertriebenem Bedürfnis nach Vollständigkeit (ein 30 Seitiges Dossier wird auf 29 Seiten zusammengefasst)
  • Aufschieben (solange ich nicht anfange, bin ich perfekt; so lange die Umstände nicht perfekt sind, fange ich gar nicht erst an; ich warte auf den «Flow» u.s.w.)
  • Festhalten am «einzig richtigen Vorgehen» (ich kann nur lernen, wenn mein Bleistift gelb und gespitzt, die Schere in einem rechten Winkel zur Arbeitsfläche rechts und sieben rote Gummibärchen links neben mir liegen und und und…)
  • Angst vor Fehlern (ich mache/sage lieber nichts – es könnte ja falsch sein!);
  • Beschäftigung mit dem Falschen (ich verbringe viel Zeit mit dem, was ich schon kann oder was sich gut anfühlt – und habe dann keine Zeit mehr zum Üben oder Repetieren, was sich in der Regel nicht so gut anfühlt, gerade weil ich es ja noch nicht kann);
  • Unfähigkeit, Lob anzunehmen (hallo? ich erwarte schon etwas mehr von mir – Lob für so etwas ist ja peinlich!)
  • permanent schlechter Stimmung (ich darf erst wieder lachen, wenn alles perfekt ist).

«Sich um perfekte statt um sehr gute oder hervorragende Ergebnisse zu bemühen, legt den Keim für eine dauernde Unzufriedenheit und endlose Überarbeitungen.» (Hans Werner Rückert: «Schluss mit dem ewigen Aufschieben»)

Wirf einen Keil ins Hamsterrad

Wenn wir nach jeder gelösten Aufgabe oder jeder geleisteten Arbeit uns sofort die nächste vornehmen, dann bringen wir uns um die (wohlverdiente!) Anerkennung für das Geleistete. Hier wohnt das Gestresst-Sein. Genau hier entsteht dieses frustrierende Gefühl von: Meine To-Do-Liste ist hört ja nie auf! Tut sie auch nicht, denn Perfektion ist ein Ideal, das nicht erreicht werden kann.

Ich habe mir angewöhnt, am Ende jeder Arbeit (und bei grossen Arbeiten auch zwischendurch) eine kurze Pause einzulegen, um meine „Sofort-Ernte“ dafür einzustreichen: je nachdem, wo im Arbeitstag ich mich gerade befinde, ist es Zeit für eine Tasse Kaffee oder Tee, für eine kleine Yoga-Übung vor dem offenen Fenster, für ein Stückchen Schokolade oder ein paar Seiten in einem Buch, das mich erfreut. Diese Form von Selbst-Wertschätzung ist sehr individuell – und es lohnt sich, nach den genau passenden «Goodies» zu suchen, die einem in dieser Situation wirklich gut tun.

Beim Lernen gilt die Faustregel: Alles, was zum Weiterlernen motiviert, ist eine gute Pause. Hier habe ich ausführlich über Pausen geschrieben: Lernturbo Pause

Tipps, um den Perfektionismus beim Lernen in den Griff zu bekommen:

Ein ausgewachsener Perfektionismus kann Wohlbefinden und Gesundheit ernsthaft beeinträchtigen. Dann gehört er meiner Meinung nach in gute therapeutische Hände! Wer lediglich Tendenzen bei sich beobachtet – insbesondere beim Lernen – dem können die folgenden Tipps zu einer besseren Lernhaltung helfen. Aber Vorsicht: Eine Verhaltensänderung geschieht nicht über Nacht. Chance auf Gelingen hat, wer nur eine kleine Veränderung aufs Mal vornimmt und ein paar Wochen lang dranbleibt (z.B. ich notiere jeden Abend drei Dinge, die mich mir Freude gemacht haben; ich versuche, so oft wie möglich zu lachen; ich bemühe mich, Neues bei mir und anderen zu entdecken).

  • realistische Ziele und Erwartungen entwickeln (hier kann die Frage helfen: Muss es wirklich so viel sein? Ist dieser Aufwand wirklich notwendig? Was passiert, wenn ich für einmal nicht ganz so viel mache?)
  • attraktive Zwischenziele setzen und das Erreichen ausgiebig feiern (oder sich freundlich selbst dafür auf die Schulter klopfen – meist macht es sonst ja niemand ;-))
  • sich erlauben, einfach mal anzufangen – auch wenn die Umstände nicht perfekt sind oder die Chancen auf Genialität ein wenig eingeschränkt;
  • Grosszügig Lob für das Geleistete spenden – unabhängig vom Resultat (Zehn Minuten geübt – super!)
  • Experimente wagen mit neuen Lernstrategien (Lernkarten? Hab ich noch nie probiert… ich probiere das mal eine Woche lang und schaue mal, was mir das bringt)
  • Freundlichkeit zu sich und anderen: «Ich mache jetzt einfach mal bis dahin…» oder «ich arbeite jetzt 15 Minuten lang konzentriert, dann gönne ich mir eine Pause».

In unserer Leistungsgesellschaft lauern viele Situationen, in denen der Perfektionismus in uns geweckt werden kann. Alles soll glänzen, alles wird bewertet, alles ausgemessen und optimiert. Es sind aber ebenso Kleinigkeiten, die uns helfen, jeden Tag ein wenig mehr locker zu lassen. Und es ist an uns, sie grosszügig in den Tag zu streuen. Zum Beispiel kann man auf die Frage, wie es einem geht, fröhlich antworten: „Danke, gut genug.“

Dieser letzte Tipp stammt übrigens aus dem gleichnamigen Buch, das ich zukünftigen Ex-Perfektionisten gerne empfehle: „Danke, gut genug – Perfektionismus entspannt hinter sich lassen“ von Gabi Ingrassia.

So. Ich habe mir eine halbe Stunde «Füsse hoch» mit Kaffee in der Sonne verdient. Und Sie?

1 Kommentare

  1. Pingback: Erfolgsfaktoren des Lernens - Katrin Piazza Lerncoaching Blog

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