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Keine Zeit zum Lernen? Echt? Im Ernst?

Zeit fliegt

„Ich hatte keine Zeit zu üben.“ – „Für diese Hausaufgabe hatte ich leider keine Zeit.“ – „15 Minuten lesen? Pro Tag? Dafür habe ich schlicht keine Zeit.“

In meiner Lernpraxis sind solche Aussagen gar nicht selten. Nun weiss auch ich aus eigener Erfahrung, dass unser Leben uns einiges abverlangt und oft sehr hektisch ist. Auch weiss ich, dass es Phasen im Leben gibt, da alles drunter und drüber geht und man sich wünschte, der Tag hätte 36 Stunden. Wenn ich die Klage „keine Zeit“ aber wiederholt im Zusammenhang mit dem Lernen höre, klingeln bei mir die Alarmglocken. Die Menschen, die mir gegenüber sitzen, wünschen sich ja mehr Lernerfolg. Lernen ist ihnen wichtig. Sonst würden sie nicht zu mir kommen. Ist die Menge an Zeit, die sie haben, wirklich das Problem?

Keine Zeit – wirklich?

Wir schauen also mal ganz genau hin. Wie viele Stunden hat eine Woche eigentlich? 7 x 24 = 168 Stunden. Davon gehen rund 30 – 40 Stunden weg für die Schule oder die Arbeit. Auch der Schlaf fordert seine Zeit. Sagen wir: 7 x 8 Stunden: ca. 60 Stunden (bei Kindern sind es natürlich etwas mehr, dafür haben sie meist weniger Schulstunden). Dann noch Sport und Hobbies – dreimal in der Woche. Seien wir grosszügig und ziehen 15 Stunden ab. Dann kommen noch Fahrt zur Schule, Essen, Ausschlafen am Wochenende, Körperpflege und so weiter – sagen wir: nochmal täglich drei Stunden = 21 Stunden.

Die Rechnung sieht also so aus: 168  – 40 (Schule) – 60 (Schlaf) – 15 (Hobbys) – 21 (Allerlei) = 32.
Es bleiben also immer noch 32 Stunden zur freien Verfügung. Das sind täglich etwas mehr als 4 Stunden.

Und da sollen 10 Minuten lesen oder 15 Minuten Üben nicht drinliegen? Im Ernst?

Wo geht die Zeit hin? Der Wochenplan verschafft Klarheit

Es ist übrigens immer wieder spannend zu sehen, wie meine Klienten reagieren, wenn wir gemeinsam einen Wochenplan (nach dem Muster links) erstellen und sie sehen, wie viel Zeit ihnen tatsächlich zur Verfügung steht. Dafür werden zuerst die Schulstunden im Wochenplan eingetragen (hier gelb) und danach alle wiederkehrenden Ereignisse (wie Sport, Pfadi etc.). Der Rest ist… Freizeit!!! Manche fragen sich vielleicht zum ersten Mal ganz ernsthaft, wo die liebe Zeit denn eigentlich hin geht. Und es braucht nicht einmal viel Hilfe von aussen, um zur Erkenntnis zu gelangen, dass die elektronische Unterhaltung oftmals ein recht hungriger Zeitfresser ist… Eine junge Berufsschülerin sagte einmal versonnen: „Krass, wie viel Freizeit ich brauche!“

Ist wirklich Zeit das Problem?

Zugegeben, die oben angestellte Rechnung geht nicht für alle auf. Da kommen vielleicht noch Therapiestunden hinzu, die einen oder anderen haben mehr Hausaufgaben oder müssen Pfadfinderübungen vorbereiten… und, und, und.

Wenn aber immer alles zulasten des Lernens geht, drängt sich die Frage schon auf, ob wirklich fehlende Zeit das Problem ist. Ist es nicht vielmehr so, dass es sich bei dem, was es zu tun gilt, um etwas Unangenehmes handelt? Etwas, was wir viellecht lieber gar nicht täten? Oder etwas, was uns Mühe bereitet? Oder etwas, worin wir den Sinn gar nicht erkennen?

Gedankenexperimente bringen Erkenntnis

Antworten auf diese Frage können kleine Gedankenexperimente liefern. Wir ersetzen «ich habe keine Zeit» durch andere Aussagen und schauen, was sie bewirken:

  • „Es ist mir nicht wichtig.“
    Wie fühlt sich das an? Manchmal hilft es, wenn wir noch etwas konkreter werden: „Lernen ist mir nicht so wichtig wie Gamen.“ Oder: „Chillen mit meinen Freundinnen ist mir wichtiger als gute Noten.“ Oder: «Die guten Gefühle beim Rumtrödeln brauche ich dringend.» Das ist vielleicht die harte Wahrheit. Lernen ist mir – in diesem Moment – nicht so wichtig. Wenn das so ist, muss ich die Konsequenzen in Kauf nehmen. Es ist mir halt jetzt nicht so wichtig… vielleicht später einmal.
    Oder der Satz „ist mir nicht wichtig“ fühlt sich falsch an. Dadurch, dass ich ihn ausspreche, merke ich, dass mir der Lernerfolg doch wichtig ist. Vielleicht stehe ich vor einer wichtigen Weiche – dem Übertritt in die Oberstufe oder dem Lehrabschluss. Diese – jetzt erst bewusst gewordene – Erkenntnis kann dazu führen, dass ich das Lernen wieder etwas nach oben auf die Prioritätenliste setze. Und eine halbe Stunde pro Tag dafür freimache. (Wie man Übungszeiten leichter in einen hektischen Alltag packt, habe ich hier bereits einmal beschrieben: „Wie man leichter Übungszeiten findet.“)
  • „Es ist mir zu unangenehm.“
    Ich bin es mich gewöhnt, nur Dinge zu tun, die mir Spass machen. „Keine Lust – also mache ich es nicht.“
    Auch hier kann die Antwort heissen: ich trage die Konsequenz und lebe damit, dass ich halt (im Moment) keine sonderlich gute Leistung in der Schule erbringe.
    Oder: Ich kann mir überlegen, wie ich meine Willenskraft trainieren kann.
  • „Ich komme alleine nicht weiter. Ich brauche Hilfe.“
    Manchmal schieben wir Dinge hinaus, weil wir uns hilflos oder ratlos oder überfordert fühlen. Kurzfristige Hilfe von aussen wirkt manchmal Wunder. (Coaching oder Nachhilfe? Hier gibt es Entscheidungshilfe: „Feuerwehrübung oder Hilfe zur Selbsthilfe?“)
  • «Ich erkenne den Sinn dieser Massnahme nicht.»
    Hausaufgaben, Prüfungsvorbereitung, 10 Minuten lesen, 15 Minuten XY üben. Was immer es ist, was getan werden sollte – wir müssen den Sinn darin erkennen. Wenn sich nicht die Gewissheit eintstellt, dass uns genau dies im Lernen weiterbringt, ist es schwierig, uns dafür zu motivieren. Leider ist es aber auch eine Tatsache, dass wir das Üben manchmal ein wenig durchhalten müssen, bis sich der gewünschte Erfolg einstellt. Ähnlich wie im Sport: Kondition baut sich nicht auf, solange ich auf dem Sofa sitze. Hier könnte die Lösung beispielsweise heissen: Wie lange sollte ich XY durchhalten, um den Erfolg sehen zu können? Was könnte mir dabei helfen?

Es braucht ein wenig Zeit, um solche Denkprozesse in Gang zu bringen. Aber: Wenn uns etwas wichtig ist, finden wir die Zeit dafür. Oder nicht?

1 Kommentare

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