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Feuerwehrübung oder Hilfe zur Selbsthilfe?

Feuerwehrübung
Feuerwehrübung
Feuerwehrübung oder nachhaltige Veränderung – die richtige Hilfe finden ist nicht immer einfach.

Bei schulischen Problemen ist manchmal Hilfe nötig. Ich erlebe es aber oft, dass Klienten spät oder sogar zu spät zu mir kommen. Wobei «zu spät» natürlich relativ ist. «Zu spät» – wofür genau? Zu spät um…

  • das Zeugnis zu retten,
  • die Prüfung doch noch zu bestehen,
  • eine Arbeit innerhalb der gegebenen Frist fertigzustellen
  • die Motivation für diese Aus- oder Weiterbildung wiederherzustellen.

Um solche Ziele zu erreichen, braucht es Zeit – und die ist manchmal einfach nicht mehr gegeben. Zwar habe ich hier schon ganz erstaunliche Wendungen erlebt, doch die Erfahrung zeigt: einen Monat vor Notenabgabe lässt sich am Zeugnis kaum mehr etwas verändern. Zwei Wochen vor einer grossen Prüfung bleibt meist nur noch die Möglichkeit, den Schaden zu begrenzen.

Zu spät, um einen Veränderungsprozess zu beginnen, ist es allerdings nie – doch darüber später mehr.

Wie erkennt man eine sich anbahnende Krise?

Als Aussenstehende erhalte ich manchmal den Eindruck, es wurden während längerer Zeit wichtige Zeichen übersehen. Als Mutter weiss ich, dass dies leicht passiert – schliesslich steckt man mitten drin im Leben und manchmal sieht man vor lauter Bäumen den Wald nicht – oder eben, die Zeichen. Und überhaupt – welches der aberwitzig vielen «Zeichen» im Zusammenhang mit Schule und Lernen sind denn gerade Anzeichen für sich anbahnende Lernschwierigkeiten?

Als Lerncoach achte ich auf diese Alarmsignale:

  • Misserfolge häufen sich. Eine einzige schlechte Note bedeutet noch keine Krise. Aber zwei, drei…? Mehrere Taucher in kurzer Zeit – ohne dass dafür erklärbare Gründe (wie Krankheit, spezielle Belastungssituationen etc.) vorliegen? Speziell hellhörig machen mich ungenügende Leistungen in Bereichen, in denen die Ziele früher mühelos erreicht wurden.
  • Motivationsverlust. Nichts, was mit Lernen zu tun hat, macht mehr Freude. Misserfolge, Stress oder negative Gedanken würgen nach und nach die Lernlust ab. Manche Betroffenen trauen sich nichts mehr zu: «Das kann ich einfach nicht.» Manche reagieren trotzig: «Mir doch egal, ist eh’ nicht wichtig». (Meiner Erfahrung nach steckt übrigens gerade hinter einer solchen «Null-Bock»-Haltung meistens eine frühere Entmutigung.)
  • Prüfungsstress. Neu auftretender Prüfungsstress, eventuell sogar in Lieblingsfächern oder Bereichen, in denen bisher immer gute Leistungen erbracht wurden, ist immer ein Alarmzeichen.
  • Aktive Verdrängung, Aufschieben oder Vermeidung. Viele meiner Klienten sind, wenn sie zu mir kommen, buchstäblich «im Blindflug» unterwegs. Ihre Noten wissen sie nur so ungefähr, aus nachvollziehbaren Gründen befassen sie sich schon länger nicht mehr allzu genau damit – der blosse Anblick der schlechten Noten verursacht Qualen. Andere kennen das Prüfungsreglement nicht oder es fehlen ihnen wichtige Informationen über die formalen Anforderungen einer Präsentation oder schriftlichen Arbeit. All dies sind Unsicherheitsfaktoren, die das ungute Gefühl zusätzlich verstärken – und die Abwärtsspirale in Gang halten.

Welche Hilfe? Nachhilfe oder Coaching?

So viel vorausgeschickt: Mein Urteil ist nicht objektiv – kann es gar nicht sein! Als Lerncoach bin ich leidenschaftliche Anhängerin des Prinzips «Hilfe zur Selbsthilfe» – und ich arbeite immer an der Verbesserung der Lernfähigkeit an sich.

Dennoch sehe ich Situationen, in denen sich Nachhilfe bewährt. Aus meiner Sicht ist das dann, wenn die Leistung in einem klar umrissenen Teilbereich (ein einzelnes Fach, ein einzelnes Thema) verbessert werden soll. Zwei Beispiele:

  • Wer die Bruchregeln nicht anwenden kann, braucht noch eimal gründliche Erklärung und gutes Übungsmaterial.
  • Wer in Französisch schriftlich die Ziele erfüllt, aber keinen Satz frei sprechen kann, sucht sich eine Fachperson, die mit ihm französisch parliert.

Skeptisch bin ich, wenn die Nachhilfe über einen längeren Zeitraum – schlimmstenfalls sogar ganz selbstverständlich parallel zum Unterricht – beansprucht wird. Manchmal verfestigt sich dadurch ein Gefühl von Hilflosigkeit: «In XY bin ich einfach eine Null – da muss mir immer jemand helfen.» Und auch wenn sich mit Hilfe ein gutes Resultat einstellt, fehlen manchmal Stolz und Zufriedenheit. Im Gegenteil, es stellen sich Zweifel ein: «Ich weiss nicht, ob ich das auch alleine geschafft hätte…» Und zuletzt: Ich lerne immer mal wieder Schüler und Schülerinnen kennen, die im Unterricht in einem Fach nicht mehr richtig aufpassen, weil ihnen ja später ohnehin alles noch einmal erklärt wird.

Elternrolle «Hilfslehrer/in»?

Manche «Schlaumeier» stützen sich gleich ganz auf ihre Eltern, die ihnen ja kostenlos zu Hause als Hilfslehrer zur Verfügung stehen. Stets auf Abruf bereit, manchmal bis spät in die Nacht hinein! Aus Elternsicht halte ich auch dies wiederum für durchaus verständlich: Man möchte dem Kind gerne helfen und kann es meist ja auch – zumindest auf Primarschulstufe. Ich sehe viele Eltern, die ihren Kindern jahrelang gerne geholfen haben – und auf der Oberstufe «einfach nicht mehr können». Kein Wunder – die Tätigkeit als Nachhilfelehrer/in kann gut und gerne zum Teilzeitjob ausarten! Und nicht selten verlangt es der komplexer werdende Stoff, dass sich Papa und Mama ordentlich einlesen – oder ganz einfach den Stoff selber noch einmal lernen.

Nachhaltig: Hilfe zur Selbsthilfe

Langfristig die beste Hilfe ist – davon bin ich überzeugt – die Hilfe zur Selbsthilfe. «Lass uns herausfinden, wie du das selbst schaffst» statt «komm, ich erklär es dir».

Stimmt, oft dauert es so länger, bis ein Problem gelöst, eine Schwierigkeit überwunden ist. Ja, es kann auch bedeuten, dass eine potentiell unangenehme Situation etwas länger ausgehalten werden muss. Und: Vielleicht ist immer noch eine (spezifische) Hilfestellung von aussen nötig, beispielsweise in Form einer gemeinsamen Lösungssuche oder einer Anfrage bei einer Lehr- oder Fachperson.

Wenn aber die Person in Schwierigkeiten sozusagen «Besitzerin» ihres Problems bleiben darf, profitiert sie mehrfach:

  1. Sie findet eine Lösung für ihr Problem.
  2. Sie darf stolz sein auf sich selbst.
  3. Die Erfahrung, etwas geschafft zu haben, füllt sie mit dem Vertrauen, auch zukünftige (ähnliche) Schwierigkeiten zu meistern.

Die gewohnten Bahnen verlassen – miteinander

Ein erster Schritt in die richtige Richtung kann für Eltern so aussehen, dass sie die gewohnte Hilfestellung durch Fragen ersetzen. Auf die oben genannten Beispiele angewendet, klingt das so:

  • Du hast Bruchrechnen nicht verstanden? Ok – was machst du jetzt? Woher bekommst du die nötigen Informationen? Wer könnte es Dir noch einmal erklären? Welche Regeln hast Du übersehen? Welche Grundprinzipien hast Du nicht verstanden?
  • In Französisch schriftlich klasse – mündlich schwach? Was würde Dir helfen, Deine mündliche Beteiligung im Unterricht zu verbessern? Wo gibt es Gelegenheiten, um mehr zu sprechen? Wo könntest Du andere sprechen hören? Gibt es alltägliche Ausdrücke, die Du auswendig lernen könntest, damit sie Dir leichter zur Verfügung stehen?

Den Teufelskreis durchbrechen – im richtigen Moment

Schön und gut – aber was, wenn der oder die Betroffene sich gar nicht helfen lassen will? Behauptet, überhaupt kein Problem zu haben? Oder lauthals nach der Sofort-Lösung schreit? «Als Eltern kann man doch nicht einfach zuschauen, wie das Kind sich verrennt», sagen mir Eltern oft. Und sie stecken wirklich in einem schwierigen Dilemma: Manche Kinder und Jugendlichen (und übrigens nicht wenige Erwachsene!) möchten oder können erst Hilfe in Anspruch nehmen, wenn sie richtig tief in der Bredouille stecken.

Als Mutter weiss ich, wie schmerzhaft es ist, das eigene Kind in einer Schwierigkeit zu sehen – wer will da nicht sofort alles dafür tun, damit es daraus herauskommt? Im Zusammenhang mit Schule und Ausbildung kommen ja auch rasch Zukunftsängste ins Spiel, und die können äusserst belastend sein. Aber:

Angst ist kein guter Ratgeber. Bessere und nachhaltige Hilfe ist:

  1. Den Impuls, zu helfen und das Problem für den anderen lösen zu wollen, unterdrücken. Klar, jeder freut sich, wenn er helfen kann. Es stellt sich ein gutes Gefühl ein: «Alles im Griff.» Doch besteht dadurch die Gefahr, dass längerfristig Abhängigkeit geschaffen und Entwicklung verhindert wird. Gute Elternhilfe kann auch einfach darin bestehen, Trost und emotionale Unterstützung zu spenden – und zuzuhören.
  2. Nicht andauernd «das Problem» in all seinen Facetten durchkauen, sondern Gelegenheiten schaffen – beispielsweise in einem gemeinsamen Brainstorming -, bei denen mögliche Lösungen diskutiert werden können. Dafür nutze ich gerne entspannte Situationen, beispielsweise nach dem Essen am Wochenende. Ein echtes Brainstorming ist ergebnisoffen, also ist der «das geht sowieso nicht» verboten. Zuerst sammeln – und dann die Lösungen auf ihre Machbarkeit analysieren.
  3. Beharrlich und geduldig bleiben. Echte Hilfe ist geleitet von der Frage «Was könnte Dir helfen, diese schwierige Situation zu überwinden?» und darf nicht beherrscht werden vom Wunsch, das Problem möglichst rasch aus der Welt zu schaffen.

Es ist nie zu spät für eine positive Entwicklung

Gerade im schulischen Bereich lassen sich die Schwierigkeiten nicht immer innerhalb der gegebenen Zeit oder in der gewünschten Geschwindigkeit lösen. Die Noten oder das Zeugnis oder die Versetzung können nicht immer gerettet werden. Vielleicht ist es dann ein schwacher Trost – aber immerhin ein Trost – zu sehen, dass eine positive Entwicklung in Gang gebracht werden konnte.

Fragen Sie sich, ob Sie oder Ihr Kind/Teenager Hilfe braucht? Rufen Sie mich an oder schreiben Sie mir eine Mail, schildern Sie mir Ihre Situation – und gemeinsam suchen wir die beste Lösung.

Literaturempfehlung:

Gemeinsam wachsen – der Elternratgeber ADHS, von Dr. Armin Born und Claudia Oehler.

Bei schlechten Noten helfen gute Eltern, von Christoph Eichhorn,

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