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Selbstsicherheit gewinnen beim Lernen

Selbstsicherheit wächst dank guten Gefühlen

Die meisten meiner Klienten erhalten von mir zu Anfang des Coachings einen Fragebogen mit über 50 Fragen über ihre Lerngewohnheiten*. Darin geht es unter anderem auch darum, wie sie sich während des Lernens fühlen. Mit den Jahren habe ich bemerkt, dass eine Frage von den allermeisten immer mit «Nein» beantwortet wird:

«Ich lasse mir ausreichend Zeit, um mich während des Lernens selbst zu belohnen und das dadurch entstehende gute Gefühl bewusst zu spüren.»

Warum ist das so wichtig? Ein Beispiel aus meiner Lernpraxis macht es deutlich: Lena, eine 14-jährige Gymischülerin kam zu mir, weil sie sich von der Schule nur noch gestresst fühlte – obwohl sie eine gute Schülerin war und grundsätzlich gerne zur Schule ging. Doch neuerdings hatte sie selbst in Fächern, in denen sie gute Leistungen erbrachte, den Eindruck «einfach nie genug zu tun». Ihre Selbstsicherheit war weg.

Lena steckte gerade in einer anstrengenden Prüfungsphase und hatte tatsächlich viel zu tun. Sie war eine fleissige Schülerin, die früher einmal gerne gelernt hatte. Heute war ihre Hausaufgabenliste so lang, dass sie manchmal nicht alles schaffte, bevor sie am Abend ins Bett ging. Lernen verleidete ihr richtig.

Der Plan war, im Verlauf des Coachings darüber zu sprechen, warum sie eigentlich glaubte, so viel lernen zu müssen. Auch war beabsichtigt, passende Lernstrategien für sie zu finden. Doch bei Lena war das gar nicht nötig. Denn bei ihr – die ja grundsätzlich leistungsbereit war – half eine ganz kleine Veränderung des Lernverhaltens: Lena richtete ihren Blick wieder auf das, was sie tatsächlich erreicht und erledigt hatte. Damit verband sie mit dem Lernen in überraschend kurzer Zeit wieder positive Gefühle.

Viele negative Gedanken untergraben die Selbstsicherheit

Letztlich war es eine simple Rechnung: Als Lena zu mir kam, war die Mehrheit ihrer Gedanken im Zusammenhang mit dem Lernen negativ. Wann immer sie ans Lernen dachte, hatte sie ein ungute Gefühle. Im gleichen Moment, wenn sie etwas erledigt hatte, blickte sie in ihr Aufgabenheft und sah, was da alles noch auf sie wartete. «Puh – noch so viel zu tun!» Das, was sie gerade eben erledigt hatte, hatte war bereits wieder vergessen. Während des Lernens fielen die negativen Gedanken regelrecht über sie her: Nicht genug! Immer noch nicht fertig! Noch so viel! Schon wieder falsch! Die Zeit rennt mir davon…! So schaffst du das nie…!

Kein Wunder, dass ihr das Lernen zunehmend schwerfiel! Und dass sie immer stärker an sich zweifelte. Die vielen negativen Gedanken führten zu einem schlechten Gefühl – dem Gegenteil der Selbstsicherheit. Aus ihrer (zum Glück nur temporär eingeschränkten) Sicht hatte sie nichts getan und deshalb wusste sie auch nichts.

Ich übte mit Lena, beim Lernen langsamer zu werden und selbst kleinste Erfolge ganz bewusst wahrzunehmen: Bei einem Arbeitsblatt stoppte sie nach jeder einzelnen Aufgabe kurz, um sich innerlich dafür zu loben: «Geschafft!» oder «Jawoll!». Manchmal gab sie sich in Gedanken einen «High Five». Dort, wo sie ihre Lösungen korrigieren konnte, sagte sie entweder: «Richtig!» oder: «Bleib dran, du schaffst das». Hinter jede korrekte Antwort malte die kreative junge Dame einen grossen lila Smiley. Und alle bereits geschafften Aufgaben wurden im Hausaufgabenheft farbig dekoriert. Die buten Farben waren der sprechende Beweis: «So viel hast du schon erreicht (heute).»

Mehr Spass am Lernen war der eine Gewinn. Der andere: Lena fand zurück zu ihrer ursprünglichen Selbstsicherheit im Umgang mit dem Lernstoff. Ihre innere Selbstbewertung war wieder mehrheitlich positiv. Und dort, wo sie auf Hindernisse stiess, schimpfte sie sich selbst nicht mehr aus, sondern steuerte sich freundlich: «Hey Lena – du kannst das, versuch’s einfach noch einmal.»

Für Lena verbesserte diese kleine Veränderung alles. Ein Glücksfall! In anderen Fällen ist dieser Perspektivenwechsel der erste, wichtige Schritt zu einer Verbesserung, dem weitere folgen müssen.

Erfolge bewusst wahrnehmen

Auch wir Erwachsenen hetzen oftmals durch unseren Alltag, erledigen so rasch wie möglich so viel wie möglich. Unangenehmes möchten wir einfach nur schnell hinter uns bringen. Wen wundert’s, dass die Kinder es uns nachtun? Ganz viele Schüler und Schülerinnen sagen mir: «Hausaufgaben? Ich will einfach nur schnell fertig werden.» Manche geben in der zweiten Hälfte sogar richtig Gas… Verständlich ist das zwar. Aber nicht geeignet, um mit dem Lernen ein gutes Gefühl zu verbinden. Ganz zu schweigen davon, dass die Qualität der Arbeit meistens auch leidet und so auch nicht viel im Gedächtnis bleibt.

Es stimmt zwar: Die Menge der Arbeiten nimmt nicht alleine dadurch ab, dass wir uns bei ihrer Erledigung besser fühlen. Aber mit einem besseren Gefühl lernt (oder arbeitet) es sich nachweislich besser.

Was, wenn (rasche) Erfolge ausbleiben?

Es klingt banal: Dann ist die Aufgabe zu schwierig. Ich kann dann entweder den Schwierigkeitsgrad oder die Aufgabenmenge reduzieren, um wieder zu einem Erfolg zu kommen.

1. Zurück in einen Bereich, in dem Selbstsicherheit besteht

Beim Lernen muss ich manchmal so weit zurückgehen im Stoff, bis ich wieder «festen Boden» unter den Füssen habe. Ich muss mir Fragen stellen: Bis wohin verstehe ich? Welchen Schritt habe ich noch nicht kapiert? Fehlen mir Fachbegriffe oder Schlüsselwörter? Beherrsche ich die zugrundeliegende Operation? Welche Aufgaben schaffe ich mühelos und wo fangen meine Schwierigkeiten an? Von dort aus kann ich dann – in ganz kleinen Schritten – weitergehen. Dabei achte ich darauf, dass immer das Gefühl besteht: «Ja – das kann ich!»

2. Einzelne Schritte kleiner machen

Manchmal muss ich die Aufgaben in kleinere Teilaufgaben aufteilen, damit ich nicht in Zeitnot gerate. Damit ich während der zur Verfügung stehenden Zeit mit einem guten Gefühl arbeiten kann. Schlau, wer seine Arbeit in viele winzige Teilschritte aufteilt – so gibt es viel mehr Gelegenheiten zum Erfolgsgefühl! (Das klingt einfacher, als es ist. Vor allem für Schüler/innen, die immer erst am Abend vor der Prüfung lernen. Da kann sich kein gutes Gefühl einstellen! Eltern leisten hier einen wichtigen Beitrag, wenn sie bei der Prüfungsplanung helfen.)

Weitere Hilfsmittel:

  • «Erledigt-Listen»: Also nicht nur das, was erledigt werden muss, sondern auch das, was bereits getan wurde, wird aufgelistet – und gebührend gelobt.
  • «Hall of Fame»: Aufgaben auf Post-It-Zettel schreiben und diese nach der Erledigung an einen bestimmten Ort bewegen. Das kann auch die Ecke des Schreibtischs sein. Wer mag, kann seine Aufgaben auch auf Zettel schreiben und diese nach Erledigung lustvoll zerknüllen und in eine Zimmerecke ballern. Yeah – schon wieder etwas erledig! J
  • «Umdekorieren»: Erledigtes wird farblich dekoriert oder mit dickem schwarzem Filzer «ausgelöscht».
  • Lerntagebuch führen. Sich immer wieder fragen: Was hat geklappt heute? Womit bin ich zufrieden? Was ist gut gegangen? Worauf bin ich stolz? So wird die Perspektive schrittweise vom Negativen zum Positiven umgeleitet.
  • «Kann-ich-Wichtel» füttern – eine Anleitung, wie der kleine Lernhelfer trainiert wird, gibt es hier.

*Der Fragebogen stammt aus Jansen/Streit: «Positiv lernen – für Kinder, Jugendliche und Erwachsene».