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Immer so verzettelt – was tun?

Eine Person auf dem Bild hat eine Wolke aus Zetteln am Kopf - sie ist total verzettelt

Das Wort «verzettelt» sagt alles: viel zu viele Zettel und Zettelchen, Papiere, Hefte, Arbeitsblätter und und und… auf dem Arbeitstisch. Es ist fast unmöglich, sich auf etwas Einziges zu konzentrieren. Wäre es da nicht die einfachste Lösung, erst einmal Ordnung zu machen und die Arbeitsfläche vom Papierkram zu befreien? Im Prinzip ja, doch auch beim Aufräumen kann man sich wiederum herrlich verzetteln, nicht wahr?

Verzettelt kann jede/r sein.

«Verzettelt» hat eben noch eine andere Komponente, die mehr mit Psychologie als mit Ordnungsliebe zu tun hat: «Man verzettelt sich», wenn es einem nicht gelingt, den Fokus auf etwas Einziges zu legen. Manche Eltern schildern mir die «Arbeitsweise» ihrer Kinder so: «Sie fängt mit einem Mathe-Blatt an, kommt nicht mehr weiter, beginnt zu zeichnen, schreibt zwei, drei Sätze im Deutsch-Heft, dann schneidet sie etwas aus, beginnt zu träumen, hüpft ein bisschen um den Tisch herum…. und plötzlich ist der ganze Nachmittag vorbei und sie ist traurig, weil sie doch noch mit den anderen Kindern draussen spielen wollte.»

Erwachsene sind selbstverständlich nicht davor gefeit, sich zu «verzetteln»! Je älter die Person, desto eher sind dann aber (zusätzlich) digitale Komponenten mit im Spiel: Chats, E-Mails, News, und so weiter. Verzetteln geht prima komplett papierlos!

Arbeiten oder Ausruhen? Beides gleichzeitig geht nicht!

Wie das oben genannte Beispiel des kleinen Mädchens schön zeigt, sind wir manchmal auch deshalb verzettelt, weil wir uns so ein bisschen «Freizeit» verschaffen können. Ein bisschen Träumen hier, ein bisschen Unterhaltung da, etwas Neues alle fünf Minuten… Eine erste, wichtige Abhilfe ist es deshalb, sich ehrlich zu fragen, ob wir genügend erholt sind oder vielleicht erst einmal eine Pause bräuchten. (Über den Wert und die Wichtigkeit von Pausen habe ich hier schon ausführlich geschrieben.)

Effektives Arbeiten setzt voraus, dass wir den Zustand, in dem wir uns befinden, bewusst wahrnehmen. «Bin ich jetzt gerade am Arbeiten? Oder bin ich eher am Ausruhen?» Eines ist klar: wer beides gleichzeitig versucht, verzettelt sich unweigerlich.

Tipp für Eltern: Manche Kinder spüren es nicht so genau, ob sie jetzt gerade verzettelt oder voll konzentriert sind. «Konzentrier dich!» ist deshalb selten die richtige Ansprache. Viel erfolgversprechender ist es dagegen, sie auf den erwünschten Zustand hinzuweisen: «Jetzt warst du gerade ganz toll konzentriert – hast du das gemerkt?» «Wow, du warst voll konzentriert – wie hast du das geschafft? Was hat dir dabei geholfen?» Manchmal lohnt es sich, für eine Weile ein Konzentrations-Tagebuch zu führen. Während des Arbeitens wird beobachtet: Wo fällt es mir leicht(er) mich zu konzentrieren? Was sind die Ablenker? Wann bin ich total verzettelt, bei welchen Tätigkeiten?

Verzettelte Zeit als «Müllzeit» erkennen.

Meine Lehrer Fabian Grolimund und Stefanie Rietzler haben mir den schönen Begriff «Müllzeit» nahe gebracht: Zeit, in der gar nichts «Richtiges» passiert. Weder sind wir am Arbeiten, noch können wir tatsächlich entspannen. Verzettelung verhindert auch die Entspannung! Viele Jugendliche beklagen sich mir gegenüber, dass sie sogar beim «Chillen» ständig daran denken, was sie alles zu tun haben – oder dass sie permanent von schlechtem Gewissen geplagt sind. Auf diese Weise verknüpfen sie eine grosse Menge negativer Gedanken mit dem Lernen – was das Lernen auf Dauer unattraktiv macht. Deshalb ist es umso wichtiger, die eigene «Müllzeit» zu erkennen und zu benennen: «Hey, jetzt bist Du voll in der Müllzeit. Entscheide Dich: Chillen oder lernen!» Jugendliche und Kinder bitte ich manchmal, ein Bild zu gestalten, auf dem ich sehen kann, womit sie ihre «Müllzeit» füllen. Und rate mal, was man immer darauf sieht? Klar, das Handy.

Mit Plan viel weniger verzettelt

Meinen Coachees predige ich immer: «Nie Lernen ohne Plan!» Wer einfach mal in die Hausaufgaben startet oder anfängt, über seinen Büchern abzuhängen, ist ganz schnell verzettelt. Besser ist es, sich zu Beginn einer Lernphase klar zu werden darüber, was eigentlich zu erledigen ist. Da es den meisten (auch Erwachsenen) leichter fällt, einzelne Aufgaben abzuarbeiten als «sich auf die XY-Prüfung vorzubereiten», geht es letztlich immer darum, konkrete Aufgaben oder sogar Teilaufgaben zu formulieren, die relativ rasch abgearbeitet werden können. (Nicht umsonst ist die Pomodoro-Technik so erfolgreich.) Bei Kindern sollten diese Aufgaben in ca. 5-10 Minuten, bei Jugendlichen in 10-15 und bei Erwachsenen in 25 Minuten fertig sein. Danach folgt eine kurze, 3-5 Minuten dauernde Pause.

Tipp für Eltern: Vielen Kindern ist enorm geholfen, wenn die Eltern zu Beginn der Lern- oder Hausaufgabenzeit mit ihnen gemeinsam einen Plan machen. «Was hast du heute auf? Womit willst du beginnen?» Wichtig: Auch die Pausen einplanen! Und gemeinsam überlegen, wo allenfalls Schwierigkeiten auftauchen könnten – und was dann zu tun ist.

Allzu leicht verzettelt? Gönn Deinem Gehirn Abwechslung!

Die allermeisten meiner Klienten nehmen sich immer viel zu lange Studier- oder Lernzeiten vor. Drei oder vier Stunden lang Geografie büffeln? Geschichtsthemen wälzen? Das kann, muss aber nicht interessant sein! Im Gegenteil: «Abhängen mit Büchern» ist ganz rasch langweilig. Achte also bei deinen Plänen darauf, dass du Abwechslung beim Lernen einplanst. Wechsle vor allem zwischen passiven und aktiven Lerntechniken ab. Passiv ist die Informationsaufnahme (lesen, Erklärvideo anschauen, zuhören…), aktiv ist die Abfrage (Selbstabfrage, Wiedergeben, Repetieren, Aufgaben lösen). Die meisten Lernenden machen die Erfahrung, dass es sehr viel einfacher ist, sich zu konzentrieren, wenn sie aktiv sein und etwas tun können. Hier findest Du eine kurze Beschreibung aktiver Lernmethoden: Download Aktive Lernmethoden

Im «Arbeitsmodus» weniger verzettelt

Schalte bewusst in den Arbeitsmodus, wenn Du lernen willst. Natürlich gehört dazu erst einmal, alle externen Ablenker auszuschalten, an erster Stelle die elektronischen Ablenker. (Email- oder WhatsApp-Benachrichtigungen, hier piepst es, dort klingelt es – wer kann so arbeiten? Flugmodus oder, wenn es gar nicht anders geht, nur noch den allerwichtigsten Botschafren erlauben, dich abzulenken!)

Doch auch die inneren Ablenker müssen Ruhe geben, damit wir uns geistig auf eine einzige Sache einlassen können. Verena Steiner (Lernpower) spricht in diesem Zusammenhang vom «inneren Ruck», den wir uns manchmal geben müssen, um wirklich in Arbeitsstimmung zu kommen. Diesen aktivierenden «inneren Ruck» kennen wir alle, nicht wahr? Es ist der Moment, in dem wir wirklich starten. (Wer seinen inneren Ruck nicht kennt, dem hilft diese Übung, die unter der Dusche ausgeführt wird: Wenn Dir richtig schön warm ist, stellst Du kurz eiskalt ein. Diese Entscheidung braucht genau diesen «inneren Ruck».) Für die eine kann der «innere Ruck» bedeuten es, sich ein (lautes oder leises) verbales Signal zu geben: «So – jetzt fängst Du an!».  Für einen anderen kann es das Klingeln des Timers sein, der den geplanten Arbeitsbeginn markiert. «Wenn der Timer losgeht, lasse ich alles stehen und liegen und fange an.»

Tipp für Eltern: «Fang jetzt endlich an!» Das Kind mag zwar tatsächlich einen solchen Hinweis brauchen, um in die Gänge zu kommen. Spätestens in der Pubertät wird diese Aufforderung jedoch eher etwas anderes auslösen: zunehmenden Widerstand. («Jetzt bestimmt nicht!») Eine befreiende Lösung kann in dieser Situation sein, das Signal zum Arbeitsbeginn auszulagern, beispielsweise an den Küchenwecker oder einen Timer. Dann sind nicht mehr Mutter und Vater die Bösen, sondern eine (neutrale) Maschine gibt das Zeichen. Kleine Kinder kann man würfeln lassen: «Du beginnst in so vielen Minuten, die der Würfel zeigt.»

Gemeinsame Entscheidungen erschweren Verweigerungen

Bestimmt wird es anfangs immer noch Diskussionen geben oder der Arbeitsbeginn wird weiterhin verweigert. Da lohnt es sich, vorher gemeinsam eine Konsequenz zu formulieren. Zum Beispiel: «Wenn Du zur vereinbarten Zeit nicht anfängst, musst Du die verlorene Zeit am Ende beim Lernen anhängen und zusätzlich Voci lernen.» Oder: «Die vertrödelte Zeit wird zur Hausarbeit eingesetzt, Staubsaugen, Staubwischen, Wäsche sortieren etc.» Solche Vereinbarungen haben grössere Chance auf Erfolg, wenn sie gemeinsam und in einer ruhigen Gesprächssituation getroffen werden.

Belohne das Gegenteil von verzettelt: Deine volle Konzentration!

Je älter ich werde, desto lieber betrachte und fokussiere ich das Positive. Es ist so leicht, in einer «Problemtrance» zu versinken und nur noch Probleme zu sehen. Statt dass wir uns also über uns selber ärgern, weil das Fokussieren so schwierig ist, sollten wir uns darüber freuen, wenn es gelingt! Und dafür sorgen, dass es immer häufiger und immer länger passieren kann. „Oh wow – jetzt bin ich ja super am Arbeiten – da hänge ich gerade noch ein wenig an.»

Manchen hilft es, eine Strichliste zu führen: Wie oft am Tag schaffe ich es, ganz auf meine Arbeit fokussiert zu sein? Heute sind es vielleicht nur drei Striche – dann kann ich mich auf den nächsten Tag freuen und versuchen, vier Striche zu schaffen. Und wie wär’s, Dich für jeden Strich zu belohnen? Es ist durchaus erlaubt, die Messlatte für Belohnungen richtig tief zu halten – je mehr Freude Du mit der Arbeit oder dem Lernen verknüpfen kannst, umso besser!

Allzu verzettelt? Investiere gezielt in deine Konzentration

Vor kurzem war ich wieder einmal in der Schweiz. Bereits am Flughafen ist mir aufgefallen, dass alle so schnell unterwegs sind: man rennt zum Zug, zur nächsten Besprechung, nach Hause, zur Arbeit… Einmal mehr fühle ich mich unglaublich privilegiert, mit den Hühnern aufstehen und mit den Katzen ins Bett gehen zu dürfen – und dazwischen nicht von Termin zu Termin hetzen zu müssen. Trotzdem kann ich mich natürlich auch hier auf meiner Insel wunderbar verzetteln, schliesslich geniessen wir Internet und alle Arten von elektronischer Unterhaltung. Mein persönlicher Tipp gegen das Verzetteln sind Achtsamkeitstraining, Meditation, Yoga, Waldspaziergänge, Atemarbeit. Auch Tätigkeiten wie Handarbeiten, Zeichnen oder Gartenarbeit können uns wieder zu mehr Konzentration führen.

Wenn Du das Gefühl hast, keinen ruhigen Gedanken mehr fassen zu können, investiere in Deine Konzentration. Es gibt Kurse für jeden Geschmack – und in dieser Sache darfst Du Dich ruhig von Lust und Laune leiten lassen. Das Gute daran ist: Wenn Du in Deine Konzentration investierst, erhältst Du automatisch auch mehr Entspannung. Denn Konzentration und Entspannung sind die beiden Seiten derselben Medaille. Das eine gibt’s nicht ohne das andere!