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Wenn «Du schaffst es!» bedrohlich klingt

du schaffst es - nicht immer hilfreich

«Du schaffst es – und wir wissen das!» Was eigentlich motivierend wirken soll, kann manchmal genau kontraproduktiv sein. Dies zeigte mir der Fall eines knapp zwölfjährigen Jungen, der von seinen Eltern zu mir geschickt wurde. Er hatte bisher immer gute Noten in der Schule, war offensichtlich begabt und auch willig, gute Leistungen zu bringen. Doch im Moment klappte einfach nichts. Und dies ausgerechnet in einer Zeit, in der es so wichtig wäre, gute Noten zu haben – kurz vor Semesterende, kurz vor der Entscheidung darüber, welche Schule der Junge im neuen Schuljahr besuchen soll.

Die Eltern wollten ihrem Kind zu verstehen geben, dass sie vollkommen an ihn und seine Fähigkeiten glaubten und auch erwarteten, dass es sein Potential entfaltete. «Du schaffst es!» versicherten sie ihm immer wieder – und waren erst ziemlich konsterniert, als ich sie bat, dies nicht mehr zu sagen.

Fühlt sich an wie ein Befehl

Was motivieren sollte, musste in den Ohren ihres Sohnes in dieser Situation wie ein Befehl oder eine Drohung klingen – und bewirkte deshalb wohl auch das Gegenteil: statt dass er neues Selbstvertrauen gewann, wurde er zusätzlich verunsichert und zunehmend bockig. Denn ihm war im Moment leider nur allzu klar: Er schaffte es nicht. Die Noten zeigten es ihm Schwarz auf Weiss. Was ihm bisher leicht fiel, gelang ihm nicht mehr. Und natürlich sorgte er sich, er könnte seine Eltern enttäuschen – und auch sich selbst, da er ja bisher gut damit gefahren war, sich hohe Leistungsziele zu stecken.

Dies war ein guter Moment, um innezuhalten und zu analysieren, warum er – dem bisher immer alles fast mühelos gelang – es plötzlich nicht mehr schaffte.

Gemeinsam überlegten wir:

  • Was brauchst du, um es schaffen zu können?
  • Wer könnte dich wo, wie, wann und wie oft unterstützen?
  • Hast du Wissenslücken, die du schliessen solltest?
  • Quält dich Prüfungsangst, vor und während Prüfungen?
  • Gibt es da vielleicht Streitigkeiten mit Lehrpersonen und/oder Kollegen, Freunden?

Sind die Schwierigkeiten erst einmal konkret und präzise benannt, können wir gemeinsam überlegen, welche Fähigkeiten uns dabei helfen, sie zu überwinden. Das kann zum Beispiel heissen: «Ich muss meine Unlust überwinden und regelmässig üben.» «Es würde mir helfen, wenn mir jemand noch einmal die Bruchregeln erklären würde.»

Es war schön zu sehen, wie das fast mantra-artig wiederholte «Du schaffst das!» der Eltern sich nach und nach verwandelte in ein «Du kannst es schaffen, wenn du…» Und im zweiten Teil, im «wenn du…» tauchten jetzt die Lösungen auf, die wir miteinander erarbeitet hatten.

Ein alleine stehendes «Du schaffst es!» – selbst wenn es noch so aufmunternd gemeint ist – erhöht den Druck, weil es lediglich eine Behauptung oder eine Aufforderung ist, ohne wirklich eine Lösung anzubieten. «Du schaffst es, wenn….» hilft dabei zu analysieren, wo die Schwierigkeiten liegen, wie sie überwunden werden können. Das ist mehr als Aufmunterung – das ist eine wirklich hilfreiche Unterstützung.

Hier sind ein paar Beispiele, für solche Lösungen (die erfahrungsgemäss bei jedem anders aussehen):

Du schaffst es, wenn du:

  • dich noch einmal in diese Sache vertiefst;
  • deinen Unwillen gegenüber diesem Stoff/Lehrer ablegst;
  • regelmässiger als bisher übst;
  • alle Aufgaben machst und bei Verständnisschwierigkeiten sofort Hilfe erbittest;
  • Zeit in dieses Fach investierst, auch wenn Du den Lehrer doof findest;
  • nicht sofort ausrastest, wenn du einen Fehler machst
  • über dein Lernen nachdenkst und dir überlegst, was gut funktioniert
  • deinen eigenen Fortschritt beobachtest (und nicht so sehr darauf schaust, was die anderen machen).

Volksmund gibt es ein schönes Bild: «wie ein Esel vor dem Berg stehen». Die (allzu) grosse Herausforderung schüchtert uns manchmal ein und macht uns dumm. Wer den Berg in kleine Teiletappen aufteilt, sieht ein Stück vor sich, das zu bewältigen ist – und kann zuversichtlich einen ersten Schritt tun. Und dann einen zweiten. Und dritten…