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Mit Musik lernen – oder lieber nicht?

Lernen und Musik
Lernen und Musik
Lernen und Musik – manchmal eine gute Kombination!

«Hilft Musik beim Lernen oder stört sie?» Die Frage kommt in jedem Referat, in jedem Gespräch mit Eltern, regelmässig auch von den Lernenden selbst. Lange habe ich  nach einer wissenschaftlich fundierten Antwort gesucht, bis vor kurzem erfolglos. Im Buch «How we learn» von Benedict Carey habe ich diesen Sommer eine spannende Antwort gefunden. Soviel vorweg: Das stille Arbeitszimmer ist nicht für jedermann das Richtige – und tendenziell für die Mehrheit der Lernenden sogar eher ungünstig.

Das zeigt die Studie:

Der amerikanische Psychologe Steven M. Smith hat 1985 an der Texas A&M University mit vierundfünfzig Studenten einen Test gemacht. Er teilte sie in drei Gruppen auf und liess sie jeweils eine Liste mit 40 Wörtern lernen. In der Lernphase erhielten: Gruppe A:  Jazzmusik im Hintergrund; Gruppe B: Mozarts Klavierkonzert Nr. 24 in C Moll; und Gruppe C: Stille.

Für die Testphase unterteilte Smith jede dieser drei Gruppen noch einmal in drei Untergruppen und liess sie die Prüfung entweder mit Jazzmusik, mit klassischer Musik oder in kompletter Stille ausfüllen. (Wer also beispielsweise mit Jazz gelernt hatte, erhielt im Test entweder wieder Jazz oder Mozart oder Ruhe.)

Das Ergebnis war verblüffend: Wer beim Lernen und in der Prüfung mit der gleichen Musik berieselt wurde, hatte ein 50 Prozent besseres Testergebnis als diejenigen, die in Test- und Prüfungsphase eine andere Musik oder Stille  erhielten. Am schlechtesten schnitten diejenigen ab, die in kompletter Stille gelernt hatten.

Smith folgerte daraus, dass sich die Hintergrundgeräusche (auch Musik) unbewusst in das Webmuster der Erinnerungen einarbeiten und so den Zugang zum Gelernten erleichtern. Und er zog daraus den Schluss: «Irgendein Geräusch im Hintergrund ist besser als nichts.»

Leider hat diese Studie für uns aber einen Haken: Wir können ja kaum verlangen, dass wir unsere eigene Musik mit in die Prüfung bringen  und dort abspielen dürfen.

Spannend finde ich sie trotzdem, denn das Abschneiden derjenigen, die in kompletter Stille gelernt hatten, gibt uns einen Hinweis darauf, wie die eingangs gestellte Frage wahrscheinlich zu beantworten ist. «Kommt darauf an, wie wir allgemein mit Hintergrundgeräuschen umzugehen wissen!»

Stille ist heutzutage so ungewöhnlich – wann haben Sie zuletzt totale Stille erlebt? – dass wir in kompletter Ruhe wahrscheinlich leichter irritiert sind und Gefahr laufen, auf jedes Geräusch zu achten: War das der Hund? Wer ist da nach Hause gekommen? Warum piept der Vogel da draussen so schrill? Schon wieder eine Sirene – warum bloss? (Und so weiter…)

Es kann durchaus sein, dass jemand Musik zum Lernen schätzt, weil sie die anderen Umgebungsgeräusche überlagert – und so Ablenkung verhindert!

Kinder mit ADHS profitieren von moderaten Geräuschkulissen

In ihrem sehr empfehlenswerten Buch «Erfolgreich lernen mit ADHS» zitieren die Autoren Stefanie Rietzler und Fabian Grolimund jüngere Studien und interpretierten diese so: «Kinder mit Aufmerksamkeitsproblemen konnten sich unter der Lärm-Bedingung (Strassenlärm) mehr merken, Kinder ohne Aufmerksamkeitsprobleme hingegen, wenn es ruhig war.» Eine andere Studie zeigte, dass Grundschulkinder mit ADHS bessere Mathematikleistungen erbrachten, wenn sie Musik hörten, als wenn es im Hintergrund still war oder Gespräche zu hören waren. Wichtiger Punkt: Die Geräusche dürfen keinen «Aufforderungscharakter» haben, um diese positive Wirkung zu entfalten – anders gesagt, die Betroffenen sollten sich nicht speziell dafür interessieren.

Praktische Tipps zum Thema Musik beim Lernen:

  • Besser mit oder ohne Musik? Die Antwort fällt sehr individuell aus. Am besten experimentieren Sie damit: Wechseln Sie die Stilrichtung, den Rhythmus, die Stimmung… und beobachten Sie (über mehrere Tage hinweg).
  • Ungünstig ist auf jeden Fall Musik mit Text. Unser Fokus ist unteilbar – sobald wir in Gedanken dem Text folgen oder eine musikalische Struktur zu analysieren versuchen, ist die Konzentration abgezogen vom Lernstoff. «Für das menschliche Gehirn ist Aufmerksamkeit im Wesentlichen ein Nullsummenspiel: Wenn wir einem Ort, Objekt oder Ereignis grössere Aufmerksamkeit zuwenden, bleibt für andere zwangsläufig weniger übrig.»(Christopher Chabris & Daniel Simons, Aufmerksamkeit, 2010)
  • Viele Menschen machen gute Erfahrungen mit unaufgeregter, eher monotoner Musik im Hintergrund («Liftmusik»). Wenn immer das gleiche Album oder die gleiche Sammlung beim Arbeiten abgespielt wird, kann sich damit eine Lernhaltung verknüpfen. («Meine Lernmusik spielt – also lerne ich.»)
  • Ein eigenes Lernlied oder ein Powersong zu Beginn des Lernens kann dabei helfen, eine positive Lernroutine zu etablieren. Das Lied wird abgespielt als Zeichen: «Jetzt geht’s los! Setz Dich hin und arbeite.» Ebenfalls günstig wirkt ein Lied zum Abschluss: «Geschafft! Erledigt! Jippie!» Die günstige Wirkung ist hier, dass mit dem Lernen eine positive Emotion verknüpft wird.
  • Manche nutzen Musik auch als Stimmungsaufheller. Sie stellen sich ein eigenes Album mit ihren «Powersongs» zusammen («We are the champions!») und hören sich diese auch vor einer Prüfung ab, um sich in Schwung und Stimmung zu bringen.
  • Etwas Musik zwischendurch (am besten noch mit einem wilden Tanz dazu) ist eine prima Lernpause.
  • Experimentieren Sie, wie Sie Ihre sinnliche Wahrnehmung als zusätzliche Gedächtnishilfe einsetzen können. Die Werbung tut das schliesslich sehr erfolgreich mit den (teilweise nervigen) Werbe-Jingles. Verknüpfen Sie ein schwieriges Wort, einen komplexen Ablauf oder ein fieses Wort mit einer kurzen, eingängigen Melodie wie «Alle meine Entchen». Singen Sie die Formel… in der Prüfung erinnern Sie sich vielleicht nicht sofort an die Formel, aber wenn Sie «Alle meine Entchen» summen, kommt die Formel zurück!