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«Lies jeden meiner Texte siebenmal.» Im Ernst?

Besser lesen – das geht! Und zwar so:

Mehrmals lesen, am besten so lange, bis man alles auswendig rückwärts singen kann?

Dies ist kein Rat aus dem 15. Jahrhundert, den ein erfahrener Vorbeter seinem Novizen gibt. Nein, das ist der Rat eines Lehrers an eine Schülerin der Fachmittelschule. Hier und heute. 2018. Hat er es selbst so zum Lehrer gebracht? Erstaunlich. Aber Sarkasmus beiseite: Der Rat ist natürlich nichts wert.

Einmal ganz abgesehen davon, dass es ein normal begabtes Gehirn zu Tränen der Langeweile treibt, mehrmals hintereinander genau dasselbe tun zu müssen, ist der Rat eigentlich sogar schädlich. Denn er bringt unschuldige Schülerinnen und Schüler dazu, mit ihren Texten «abzuhängen» – ohne nennenswerte Wirkung. Ausser, dass ihre Frustration über diese Form von «Lernen» steigt. Und dass kostbare Lernzeit verpufft. Besser lesen geht anders. So: Eine kluge Lesestrategie anwenden.

Besser lesen sieht in der Kurzfassung so aus:

Überblick verschaffen – Aktivieren – Lesen – Vergegenwärtigen – Repetieren.

Und hier folgt noch die Langfassung für alle, die noch besser lesen wollen:

Überblick gewinnen.
Weshalb gerade dieser Text? Wie steht er mit dem Fach oder dem Thema im Zusammenhang? Wie ist er aufgebaut? Gibt es ein Inhaltsverzeichnis? Sagen mir die Kapitelüberschriften etwas oder die Untertitel?

Neugierde aktivieren.
Was weiss ich bereits über das Thema? Was interessiert, freut, nervt, ärgert oder fasziniert mich daran? Gibt es etwas zu entdecken darin oder kann ich den Autor vielleicht sogar einer Dummheit überführen?

Lesen.
Langsam, in kleinen Portionen, idealerweise ohne Störung.

Vergegenwärtigen.
Sofort nach dem Lesen in eigenen Worten zusammenfassen, was im gerade Gelesenen eigentlich gesagt oder gemeint wurde. Nach dem Motto: Nur, was man verstanden hat, kann man wiedergeben. Dies kann auch in schriftlicher Form geschehen, entweder als Notiz am Rand des Textes, auf einem separaten Blatt oder auf Post-it-Zetteln oder Lernkärtchen. Zettel und Kärtchen bieten den Vorteil, dass man beim Repetieren die Reihenfolge des Gelernten verändern kann – was deutlich wirksamer ist als das stumpfe Herunterleiern von A bis Z. Das Wichtigste beim Vergegenwärtigen ist: eigene Worte und Formulierungen finden. Bei langen Texten ist es ratsam, abschnittweise vorzugehen.

Repetieren.
Es lohnt sich, das Gelesene bald nach der ersten «Runde» noch einmal anzuschauen. Damit bekommt die Sache einen Chance, sich im Gedächtnis festzusetzen. Wer das tagsüber Gelernte zur Gutenacht-Lektüre macht, erhält Gratis-Lernschub obendrauf: Im Schlaf verfestigen sich im Gehirn diejenigen Inhalte, mit denen es sich zuletzt beschäftigt hat.

Klingt das kompliziert? Das ist es eigentlich nicht. Klingt es ungewohnt? Das wahrscheinlich schon. Vor allem dann, wenn man jahrelang eine anderes Vorgehen empfohlen bekam und selber angewendet hat. Wer aber lernen möchte, aus der Lektüre das Beste zu machen, sollte diese Lesestrategie mal ausprobieren. Wer dazu keine Lust hat, muss halt weiterhin sieben- oder noch mehr mal denselben Text lesen…

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